Abschrift

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Gau Württemberg Hohenzollern, Kreisleitung Mergentheim
NSDAP-Kreisleitung Mergentheim  - Bad Mergentheim, den 22. Febr. 39
U.Nr.: 114/39

Herrn
Ernst Göldenboth
Stadtpfarrer
Niederstetten

Einstweilige Verfügung.

Gemäss § 4 Abs. 7 der Satzung der NSDAP. Schliesse ich Sie hiermit im Einverständnis mit dem Vorsitzenden des Kreisgerichts Mergentheim wegen Verstosses gegen § 4 Abs. 2 b der Satzung aus der NSDAP. aus.

Gründe:

Sie haben am Sonntag, den 12. Februar 1939 das Beiblatt zum Amtsblatt Bd. 29 Nr. 2 "Wort des Landesbischofs an die Gemeinden" in der Kirche in Niederstetten zur Verlesung gebracht. Es war Ihnen durch Gendarmerieobermeister Bergdold bekannt, dass die staatlichen Behörden die Verlesung dieses "Wortes" verboten hatten. Als Parteigenosse wären Sie unter allen Umständen verpflichtet gewesen, dieses Verbot zu achten und von einer Vorlesung abzusehen. Durch die Nichtbeachtung dieser Anordnung des Staates haben Sie sich eines schweren Vergehens gegen die Parteidisziplin schuldig gemacht.

Gegen diese Verfügung ist innerhalb einer Frist von 8 Tagen vom Tage der Zustellung ab Einspruch beim Kreisleiter des Kreises Mergentheim zulässig. Die Wirksamkeit des Ausschlusses wird durch den Einspruch nicht berührt. Wird Einspruch nicht eingelegt, so ist die vorstehende Verfügung mit Ablauf der Einspruchsfrist endgültig.

(Stempel). Kreisleiter:
gez. Seiz.

*

Abschrift.

Der Leiter der Deutschen Volksschule in Niederstetten
Niederstetten, den 19. April 1939

Herrn
Stadtpfarrer Göldenboth
Niederstetten.

Ich setze Sie davon in Kenntnis, dass laut Erlass der Ministerialabteilung für die Volksschulen vom 8. 4. 39 der Religionsunterricht an der hiesigen Volksschule mit sofortiger Wirkung durch Lehrer zu erteilen ist.

Der Leiter der Deutschen Volksschule in'Stetten
gez. Gerheiser.

Die Kenntnisnahme bescheinigt!

*

Abschrift.

Abschrift

Gaugericht Württemberg-Hohenzollern der NSDAP.
Stuttgart, den 7. August 1939
Kronprinzenstrasse 2 a

Aktenzeichen: G. R. Nr. 376/39 Gl/St.

In der Untersuchungssache gegen Pg. Ernst Willy Göltenboth, evangelischer Pfarrer in Niederstetten Kreis Mergentheim, Mitglieds-Nr. 3 220 515, wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 2 b der Satzung, hat die III. Kammer des Gaugerichts in ihrer heutigen Sitzung, an welcher teilgenommen haben:

1. Pg. O. Glück als Vorsitzender,
2. Pg. H. Mühlhäuser als 1. Beisitzer,
3. Pg. E. Angst als 2. Beisitzer

beschlossen:

I. Die einstweilige Verfügung des Kreisleiters des Kreises Mergentheim vom 22. Februar 1939 wird aufgehoben.

II. Der Bitte des Angeschuldigten, aus der NSDAP. austreten zu dürfen, wird stattgegeben, und es wird festgestellt, dass die Parteimitgliedschaft des Ernst Willy Göldenboth am 7. August 1939 erloschen ist.

III. Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe:

Durch Erlass des Württ. Evangelischen Oberkirchenrats vom 7. Februar 1939 wurden die evangelischen Geistlichen in Württemberg angewiesen, ein den Pfarrämtern als Beiblatt zum kirchlichen Amtsblatt zugegangenes "Wort des Landesbischofs an die Gemeinden" vom 6. Februar 1939 im Gottesdienst zu verlesen und zu verteilen. Der Ev. Landesbischof wandte sich in diesem Aufruf mit scharfen und aufreizenden Worten gegen Massnahmen des Württ. Kultministers und forderte zu schärfstem Widerstand gegen die Einführung des weltanschaulichen Unterrichts in den staatlichen Schulen auf. Durch Verfügung der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Stuttgart vom 10. Februar 1939 wurde die Verlesung, Verkündigung und Verbreitung dieses "staatsfeindlichen" Aufrufs verboten. Diese Verfügung wurde den Pfarrern unter Androhung von Strafe für den Fall eines Verstosses gegen das Verbot vor dem 12. Februar 1939 mündlich eröffnet.

Der Angeschuldigte, ein evangelischer Geistlicher in Niederstetten Kreis Mergentheim, der seit 1. Mai 1933 der NSDAP. angehört, hat sich an die Anordnung der Geheimen Staatspolizei nicht gehalten, das beanstandete "Wort des Landesbischofs" im Gottesdienst verlesen und seiner Gemeinde den Inhalt dieses Aufrufs bekannt gemacht. Er hat damit nicht nur gegen das staatspolizeiliche Verbot und gegen seine allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten, sondern auch gegen seine besonderen Pflichten als Parteigenosse und gegen die Bestrebungen der NSDAP. erheblich verstossen und sich damit auch parteigerichtlich strafbar gemacht.

Um eine weitere Schädigung des Ansehens der Bewegung durch das Verhalten des Angeschuldigten zu verhindern, schloss der Kreisleiter des Kreises Mergentheim im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Kreisgerichts Mergentheim diesen durch einstweilige Verfügung vom 22. Februar 1939 wegen Verstosses im Sinne von § 4 Abs. 2 b der Parteisatzung aus der NSDAP. aus. Gegen diese Ausschlussverfügung legte der Angeschuldigte mit Schreiben vom 23. Februar 1939 form und fristgerecht zulässigen Einspruch ein.

Im Laufe der weiteren Durchführung des mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit in die Zuständigkeit des Gaugerichts genommenen Parteigerichtsverfahrens wurde der Angeschuldigte zu einer Verhandlung geladen, die nach eingehender Aussprache dazu führte, dass er auf entsprechende Anregung hin eine Erklärung folgenden Inhalts abgab:

"Unter Bezugnahme auf die mit Pg. Glück gehabte Unterredung bitte ich um Aufhebung der Einstweiligen Ausschlussverfügung des Kreisleiters des Kreises Mergentheim vom 22. Februar 1939 und um die Genehmigung meines Austritts aus der NSDAP., den ich hiermit erkläre. Meinen Mitgliedsausweis gebe ich angeschlossen zurück. Mein von der Partei beanstandetes und als Verstoss gegen meine Pflichten als Parteigenosse angesehenes Verhalten war nicht böser Wille oder gar eine Folge negativer politischer Einstellung und nichtnationalsozialistischer Gesinnung, sondern ein Ausfluss der Gewissenskonflikte und Pflichtenkollisionen, in die ich ohne meine Schuld einerseits als Amtsträger der Kirche und andererseits als Mitglied der NSDAP. gekommen bin."

Wenn auch grundsätzlich Austrittserklärungen von Parteigenossen, gegen die ein Parteigerichtsverfahren anhängig ist, nicht entgegengenommen werden sollen, so hat doch das Gaugericht im vorliegenden Fall unter Würdigung der vom Angeschuldigten angeführten Gründe und mit Rücksicht auf die Tatsache, dass das dem Verfahren zu Grunde liegende beanstandete Verhalten ohne Zweifel auftretenden Gewissensbedenken entsprang und auf vermeintliche oder tatsächliche konfessionelle Bindungen und berufliche Verpflichtungen zurückzuführen ist, so wie deshalb weil die erwähnte Bestimmung nur den Sinn und Zweck haben kann, dass sich ein Parteigenosse einer im drohenden parteigerichtlichen Bestrafung nicht durch seinen Austritt entgegen dem Willen der Partei entziehen darf, beschlossen, die Ausschlussverfügung aufzuheben, die Austrittserklärung noch entgegenzunehmen und das Verfahren einzustellen.

Gegen diese Entscheidung steht nur dem Gauleiter ein Rechtsmittel zu.

Vorsitzender:
(gez.) Glück.

1. Beisitzer: (gez.) Mühlhäuser
2. Beisitzer: (gez.) Angst.

Infolge Beschwerdeverzichts des politischen Leiters ist vorstehender Beschluss rechtskräftig.

Stuttgart, den 8. August 1939
Der Leiter der Geschäftsstelle:
(gez.) Renz.

Für die Richtigkeit der Abschrift:
(Stempel) Der Leiter der Geschäftsstelle: gez. Renz

*

[Staatsarchiv Ludwigsburg EL 902/16 Bü 845, Spruchkammerakte Göltenboth]

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