( ) Niederstetten, 30 Juni. Wenn wir das Wirken der Natur beobachten und dasselbe mit der Tätigkeit des Menschen vergleichen, so erfüllen unsere Gedanken immer wieder Bewunderung vor des Schöpfers Größe. Wenn der Mensch irgend eine Farbe erzeugen will, so braucht er unendlich viele Retorten und Apparate, er braucht bestimmten hydraulischen Druck oder ganz bestimmte Hitzegrade – dagegen säen wir die verschiedensten Samenkörner in die Erde – hier sehen wir dann das volle Rot der Rose, die grünen Blätter oder den gelben Weizen, die blaue Kornblume entstehen, und diese Beispiele lassen sich ins Unendliche fortsetzen. Wir sehen die Schale der Kastanie mit einer Politur überzogen, welche dem Menschen tagelange Mühe machen würde. Der feinste von Menschenhand erzeugte Faden gleicht unter dem Mikroskop einem Hanftau, der Faden der Spinne dagegen bleibt unter der schärfsten Vergrößerung glatt wie geschliffenes Kristall. Dabei sehen wir in der Natur keine Apparate, keine Phiolen, keine Kessel. Wie viel geheime Kräfte müssen also da wirken. Dies muß umsomehr der Fall sein, als wir doch erst eine dieser geheimen Naturkräfte entdeckt haben, die Elektrizität, welche uns fast täglich neue Wunder erleben läßt. Ein solches Wunder ist das "Radio". Den ganzen Aether durchschweifen die elektrischen Wellen und sie umspannen die ganze Erde. Sie werden vielleicht auch einmal Boten nach anderen Weltteilen sein. – Am Samstag und Sonntag abend hatten wir hier Gelegenheit, diese Erfindung kennen zu lernen. Herr Elektrotechniker Brünner-Mergentheim hatte in der Turnhalle einen Apparat aufgebaut und der Studienrat Pfannkuch-Mergentheim hielt einen außerordentlich belehrenden Vortrag.Während am Samstag abend die Uebertragung durch Gewitterstörungen litt, war der Empfang am Sonntag abend ausgezeichnet. Es ist in der Tat ein überwältigendes Gefühl, wenn man zum ersten Mal aus dem Apparat eine menschliche Stimme wie aus nächster Nähe vernimmt und doch weiß, daß der Träger dieser Stimme hunderte von Kilometern weit entfernt ist. Der Apparat, ein Telefunken, funkte in der Tat sehr gut. Der Vortrag des Herrn Studienrats Pfannkuch gab einen Einblick in das Werden der drahtlosen Telegraphie und Telefonie von den Herz'schen Wellen an bis zu den Erfindungen des Grafen Arco. Die Zuhörer bekamen einen Begriff von der Höhe der Technik, wenn sie hörten wie exakte Begriffe es heute von der Schnelligkeit der Wellen und ihrer Länge geben. An Elektrotechniker Brünner und Herrn Studienrat Pfannkuch sei hier für ihre Belehrung und ihre uneigennützige Mühe herzlich bedankt.

Tauber-Zeitung, 3. 7. 1924

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