( ) Niederstetten, 6. Febr. Eine recht eigenartige, zeitgemäße und auch unseren ländlichen Verhältnissen angepaßte Ausstellung beherbergt seit gestern unsere Stadt. – Die Ausstellung "Die Farbe im Stadt- und Ortsbild". – Die Bewegung, unsere Straßenlinien durch Farben zu beleben, kam von Rußland darüber und die erste Stadt, in welcher sie festen Boden fand, war Magdeburg. Von dort ausgehend fand die Farbe überall in Stadt und Land reiche Anwendung. Nun hat sich in Hamburg eine Vereinigung gebildet, welche dieser neuen Geschmacksrichtung Rechnung tragen will und welche zugleich bemüht ist, Verirrungen des Geschmackes zu verhüten und durch Rat und Tat einzelnen Wohnkolonien-Straßen und ganzen Orten ein farbenfrohes und doch künstlerisch einwandfreies Aussehen zu geben. Diese Vereinigung hat die Wanderausstellung "Die Farbe im Stadt- und Ortsbild" auf Reisen geschickt und es ist sicher zu hoffen, daß diese geschickte Propaganda für die Ziele des Verbandes ihren Zweck, aufklären und künstlerisch erziehend zu wirken, erfüllt. Unter Anwesenheit eines zahlreichen Publikums eröffnete Herr Stadtschultheiß Schroth die Ausstellung in der Turnhalle. Er führte aus, daß die Bestrebungen des Verbandes auch hier schon ihren Einzug gehalten hätten, wenngleich manches Unschöne dabei unterlaufen sei. Herr Stadtschultheiß Schroth wies auf die Bedeutung der Ausstellung gerade für die Landorte hin. Er begrüßte alle Erschienenen, dankte für deren bekundetes Interesse und erteilte dem Vorstand der Gewerbeschule Herrn Gewerbelehrer Merkle das Wort. Herr Merkle, welcher auch der Veranstalter der Ausstellung ist, gab in einem Rundgang die nötigen Erläuterungen. Die Ausstellung besteht aus zahlreichen Plänen. Zeichnungen und Aquarellen, welche zeigen, wie die Farbe im Ortsbild wirken soll und in welchen Fällen eine falsche Anwendung der Farbe eintreten kann. Besonders interessant ist es, wenn ein Platz oder eine Stadt in vielen Ausführungen veranschaulicht wird, so daß das eigene Urteilsvermögen des Beschauers in Tätigkeit treten kann. Nicht nur an modernen Bauten wird uns die Schönheit und die Belebung eines Baus durch die Farbe gezeigt. Auch schöne alte Bauten mit Freskenmalereien sind berücksichtigt. Jedenfalls ergibt sich aus dem Beschauen der Ausstellung der sichere Schluß, daß die Häuserbesitzer einer Straße oder eines Platzes ihre Häuser nicht auf das Geradewohl anstreichen lassen sollen. Vielmehr ist eine gegenseitige Rücksichtnahme erforderlich, um die Wirkung der einzelnen Gebäude zu heben und um eine gewisse Farbenharmonie in einer Straße durchzuführen. Dies gereicht sowohl dem Einzelnen wie dem Ganzen zum Vorteil. Der Ausstellung war eine kleine Radioausstellung eingefügt, welche großes Interesse erweckte. Punkt drei Uhr nachmittags begrüßte der Sprecher des Stuttgarter Senders mit warmen Worten die in Niederstetten in der Turnhalle versammelten Funkfreunde. Es sei noch angefügt, daß Herr Stadtschultheiß Schroth nach dem Rundgang dem Herrn Gewerbelehrer Merkle den Dank der Ausstellungsbesucher sowohl für die interessanten Aufklärungen als auch für seine Bemühungen um die Ausstellung überhaupt aussprach.
Vaterlandsfreund, 8. 2. 1928