Der Kreis Mergentheim ist größer geworden.
Niederstetten, Oberstetten und Wildentierbach gehören ab 1. Oktober zum Kreis Mergentheim.

Nach dem Gesetz über die Landeseinteilung vom 25. April 1938 werden mit Wirkung vom 1. Oktober ds. Js. dem Kreis Mergentheim folgende, bisher zu dem aufgelösten Kreis Gerabronn gehörigen Gemeinden zugeteilt: Niederstetten, Oberstetten und Wildentierbach. Die bisherige Kreisstadt Gerabronn war für diese 3 Gemeinden ungünstig gelegen und so kommt es, daß im Lauf der letzten Jahre der "Zug" mehr nach Mergentheim ging als nach Gerabronn. Die bisherige Zugehörigkeit zum Finanzamt Bad Mergentheim hat nahezu jedem schon die Richtung "Mergentheim" gewiesen. Die Zuteilung zum Kreis Mergentheim wird deshalb von den Einwohnern der angeführten Gemeinden als eine selbstverständliche Maßnahme angesehen. Allerdings besteht die Meinung, daß man beim Kreis Gerabronn am "Schwanze" war und daß dies eben nun auch beim Kreis Mergentheim der Fall sein wird. Wir hoffen alle, daß dieses künftig nur geographisch gesehen der Fall ist, während die Beziehungen zwischen Bad Mergentheim und zu den 3 neuen Kreisgemeinden künftig derart gut werden, daß die angeführte Befürchtung nicht in Erfüllung geht.

Da es sicher unsere Leser interessiert, wie es in den neuen Gemeinden unseres Kreises Mergentheim aussieht, wollen wir heute einige Angaben über diese Gemeinden machen, einmal zu Orientierung, zum andern, damit nicht der Anschein erweckt wird, daß vielleicht der Kreis Mergentheim vom aufgelösten Kreis Gerabronn eben die Gemeinden übernehmen mußte, die der Kreis Crailsheim nicht gewollt hat.

Die Stadtgemeinde Niederstetten

wird mit 1570 Einwohnern nach Bad Mergentheim und Weikersheim die drittgrößte Gemeinde des Kreises Mergentheim sein. Die Einwohnerschaft setzt sich zusammen aus 2/5 Bauern und Weingärtnern, 2/5 Gewerbetreibenden und 1/5 Arbeitern, Beamten und Angestellten. An Haupt- und Nebengebäuden sind zusammen 680 mit einem Brandversicherungsanschlag von 4,7 Millionen Mark vorhanden. Die Markungsfläche beträgt 1967 Hektar. Mit dieser Fläche ist Niederstetten die Gemeinde des Kreises Mergentheim, die die größte Markung hat.

Dieses bringt es mit sich, daß hier eine umfangreiche Landwirtschaft vorhanden ist. In den Teilorten Ermershausen, Sichertshausen und den Eichhöfen sind sämtliche landw. Betriebe Erbhöfe. Zusammen sind hier 43 Erbhöfe vorhanden, die eine Größe von 10-56 Hektar aufweisen. Im ganzen sind 180 landw. Betriebe vorhanden mit einer Größe von über 1 Hektar. Die landw. Fläche verteilt sich wie folgt: Wald 250 Hektar, Wiesen 220 Hektar, Aecker 1330 Hektar und Weinberge 70 Hektar. Mit einem Viehbestand von 1100 Stück dürfte Niederstetten in dieser Beziehung im Kreis Mergentheim führend sein. Der Weinbau hat in letzten Jahren, besonders seit der Gründung der Weingärtnergenossenschaft an Bedeutung gewonnen. Es hat sich allmählich "herumgesprochen", daß der Niederstettener kein schlechter Tropfen ist, und so ist es nicht verwunderlich, daß es auch gerade in Bad Mergentheim "Weinzähne" gibt, die an ihrem Stammtisch auf den Niederstettener Schiller schwören und ihn selbstverständlich auch trinken. Die Weingärtnergenossenschaft umfaßt 160 Mitglieder, die sich aus den Gemeinden Niederstetten, Oberstetten und Pfitzingen zusammensetzen. Die Kelter ist eine der neuzeitlichsten, der vorbildliche Keller hat einen Faßraum von rund 200 Hektoliter. Den Belangen der Landwirtschaft von hier und Umgebung dient das vorhandene Lagerhaus, das 560 Mitglieder und weitere 500 Kunden (Nichtmitglieder) hat. Hier ist weiter noch zu erwähnen die Fa. Friedrich Kießecker, Landesproduktionshandlung. Die hier und in Ermershausen, Sichertshausen, den Eichhöfen und Wildentierbach anfallende Milch wird in der hiesigen Milchverwertungsgenossenschaft verarbeitet. Die große Bedeutung der Landwirtschaft bedingt auch die Aufgaben der Stadtverwaltung für die Landwirtschaft, was sich besonders in dem Vorhandensein einer vorbildlichen Farrenhaltung mit 7 Farren zeigt.

Gewerbebetriebe (durchschnittlich kleinere und mittlere) sind hier 150 zu verzeichnen. Die vorhandenen Gewerbebetriebe dienen in der Hauptsache den Bedürfnissen und dem Interesse der Landwirtschaft, und zwar nicht nur für hier, sondern hauptsächlich auch der Landwirtschaft des großen "Hinterlandes". Ein Besuch bei den hiesigen Gewerbetreibenden zeigt, daß hier handwerksmeisterliche Arbeit geleistet wird, und daß bei den Gewerbetreibenden ein Lager und eine Auswahl in jeder Beziehung vorhanden sind, die die hiesigen Gewerbebetriebe in die Lage versetzt, den Wünschen der einheimischen und auswärtigen Kundschaft jederzeit gerecht zu werden. Leider ist seit dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in der hiesigen Gegend bei den Gewerbetreibenden ein geschäftlicher Notstand eingetreten, der, so hoffen wir alle, in Bälde sein Ende finden möge, damit auch die althergebrachten guten Beziehungen zwischen den Einwohnern der umliegenden Gemeinden mit den hiesigen Geschäftsleuten wieder aufgenommen werden können. Anzuführen sind noch die hier stattfindenden Märkte, und zwar die jeden Montag stattfindenden gutbesuchten Schweinemärkte, 2 Pferdemärkte, die monatlichen Viehmärkte und 4 Krämermärkte, von denen der Lichtmeß- und der Martinimarkt von besonderer Bedeutung sind. Der Pferdemarkt im Januar gilt als das Volksfest der Niederstettener und ist von großer Wichtigkeit, denn er wird nicht nur von der ganzen Umgebung stark besucht, sondern auch vom Bbadischen und vom Bayerischen. Das Herbstfest bei Beginn des Weinherbstes zeigt den vielen Besuchern den historischen Winzertanz.

Die gutgeführten Gasthöfe werden gern von den Reisenden aufgesucht. Leider hat der Fremdenverkehr hier nicht die Bedeutung, welche der landschaftlichen Schönheit, der Gastfreundschaft und den Sehenswürdigkeiten unseres Städtchens, das überragt wird vom Schloß Haltenbergstetten, gebühren. Im übrigen ist ein Besuch und Aufenthalt bei den Niederstettener, die als ein "lustiges" und "seßhaftes" Völkle, ausgestattet mit einem gesunden Humor, bekannt sind, steht dankbar und "langwährend".

Zur Betreuung des Geldverkehrs von Niederstetten und seiner näheren Umgebung sind hier vorhanden: die als Genossenschaftsbank bedeutende Landwirtschafts- und Gewerbebank Gerabronn, Filiale Niederstetten, in der Leitung des Filialleiters Schuster mit ihrem weitverzweigten Einzugsgebiet (Zahl der Mitglieder von hier und Umgebung 600), die Hauptzweigstelle der Kreissparkasse Mergentheim, Zweigstellenleiter Löffler, und die Spar- und Darlehenskasse, Rechner Glasermeister Otto.

An Vereinen und Genossenschaften sind weiter anzuführen: der Turn- und Sportverein, Vorstand K. Streitberger. Der Männergesangverein Liederkranz, Vorstand Julius Schneider, Gärtnereibesitzer. Die Kriegerkameradschaft, Vorstand Fr. Knorr, Landwirt hier. Der Schützenverein, Vorstand Dr. Holler, Tierarzt. Die Landw. Bezugs- und Verwertungsgenossenschaft (Lagerhaus), Vorsteher Otto Osiander, Bauer, Lagerhausverwalter Heinrich Schürger. Die Milchverwertungsgenossenschaft Vorsteher Friedrich Knorr, Landwirt, Geschäftsführer Hermann Ziegler. Die Spar- und Darlehenskasse, Vorstand Friedrich Becker, Fronmeister. Die Weingärtnergenossenschaft, Vorstand Ratsherr Linder, Geschäftsführer W. Schuster. – Hervorzuheben sind auch noch die seit einem Jahr gut eingeführten Vorstellungen der Württembergischen Landesbühne. Die gut besuchten Vorstellungen mit durchschnittlich 500 Besuchern geben davon Zeugnis, daß auch die hiesige Einwohnerschaft das notwendige Interesse für die kulturellen Veranstaltungen zeigt.

Und nun einige Worte zur Stadtverwaltung selbst. An der Spitze der Stadtverwaltung steht Bürgermeister Weber. Der "Rat" setzt sich wie folgt zusammen: 1. Beigeordneter Friedrich Melber, Gastwirt und Metzgermeister, 2. Beigeordneter Fr. Thomas, Kaufmann. Ratsherren: K. Streitberger, Werksbesitzer, Johann Linder, Bauer und Weingärtner, Karl Melber, Lagerhausarbeiter, Richard Knenlein, Buchdruckereibesitzer, Heinrich Hermann, Bauer und Wirt in Ermershausen und Otto Osiander, Bauer in Sichertshausen. Stadtpflege: Fr. Pflüger. Die Bedeutung von Niederstetten für die Umgebung bringt es mit sich, daß die Stadtverwaltung in geschäftlicher Beziehung Aufgaben zu erfüllen hat, die über den üblichen Rahmen hinausgehen. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Schulen. Sämtliche Schulen sind in dem schönen neuzeitlichen Sammelschulgebäude vorbildlich untergebracht. Die deutsche Schule steht unter Leitung von Oberlehrer Gerheiser. Die Realschule (Studienassessor Göller) wird besonders auch von auswärtigen Schülern gern besucht. In der von Gewerbeoberlehrer Sigelen geleiteten Gewerbeschule finden die Lehrlinge von 15 Gemeinden ihre fFachschulische Ausbildung. Der Hauswirtschaftsschulverband umfaßt 10 Gemeinden. Der Lehrer der Ländl. Berufsschule, Herr Betz, hat hier seinen Wohnsitz. Dem Ländl. Berufsschulverband Niederstetten sind 24 Gemeinden angeschlossen.

Die Stadtgemeinde selbst hat einen Grundbesitz von 240 Hektar, davon 45 Hektar Wald. Besonders wertvoll für die Stadtgemeinde ist der verpachtete städtische Gutshof Rehhof mit einer Größe von rund 185 Morgen. An Gebäuden besitzt die Stadtgemeinde 22 (Haupt- und Nebengebäude) mit einem Brandversicherungsanschlag von 281 000 RM.

Anzuführen ist noch, daß Niederstetten der Sitz eines Bezirksnotariats (für die Gemeinden Niederstetten, Oberstetten, Wildentierbach, Spielbach, Schrozberg, Riedbach und Bartenstein), eines Arztes, einer Apotheke, eines Dentisten und eines Tierarztes ist.

Zum Schluß noch einige Angaben über die NSDAP. und ihre Gliederungen. Ortsgruppenleiter ist Fr. Thomas, Kaufmann. Walter, Warte bzw. Führer sind für NSV.: Bürgermeister Weber, DAF. Eugen Knenlein, Buchbindermeister, KdF.: Ratsherr Knenlein, Ortsbauernschaft: Karl Melber, Bauer, NSKK.: Karl Gerheiser. SA.: W. Dod, Malermeister. HJ.: W. Keppler, Flaschnermeister.

Die Gemeinde Oberstetten [...] Die Gemeinde Wildentierbach […]

Die gemachten Angaben zeigen, daß es sich bei den 3 neuen Gemeinden des Kreises Mergentheim um bedeutende und beachtliche Gemeinden handelt, gemessen an den übrigen Gemeinden des Kreises. Niederstetten, Oberstetten und Wildentierbach werden alles daran setzen, um wertvolle Glieder des Kreises Mergentheim zu sein.

Tauber-Zeitung, 1. 10. 1938