Niederstetten, 16. Okt. In der ersten Wählerversammlung dieses Wahlkampfes hielt gestern abend im Löwensaale Wirtschaftsminister Dr. Maier einen Vortrag über „Nationale Wirtschaft“. Der Redner wies einleitend auf seine Bemühungen hin, während seiner Amtstätigkeit immer mit dem flachen Lande in Berührung zu sein, um die jeweiligen Erfordernisse der heimlichen Wirtschaft, sei es in Gewerbe oder in Landwirtschaft zu erkennen und vertreten zu können. Dabei sei in erster Linie die Vielfältigkeit der Erzeugnisse in Württemberg zu beachten. Württemberg sei heute noch eine glückliche Mischung von Industrie- und Landwirtschaftsstaat. Auch das Gewerbe sei noch bedeutend stärker als im Reichsdurchschnitt. Während im Reichsdurchschnitt auf 1900 Einwohner 22 Gewerbetreibende kommen, entfallen in Württemberg auf 1000 Einwohner 32 Gewerbetreibende, worunter zunächst Kleingewerbetreibende zu verstehen sind. Die Industrie zeige auch keine einseitige Verteilung. Es würden vielmehr aller möglichen Dinge hergestellt, so daß, wenn eine Industrie weniger beschäftigt sei, immer noch andere Industrien zu tun haben, Deshalb stehe Württemberg mit der Zahl seiner Arbeitslosen weit unter der norddeutschen Zahl. Aehnlich seien die Verhältnisse in der Landwirtschaft. Während bei uns der Großgrundbesitz weniger in Erscheinung trete, seien im deutschen Osten Güter von 20-40 000 Morgen sehr häufig. Eine so verschiedene Artung der Berufsstände erfordere natürlich auch andere wirtschaftliche Maßnahmen. Deshalb sei auch das Großagrariertum gegen das notwendige Siedelungswesen. So wurde bei der Landwirtschaft bis jetzt durch die norddeutschen Agrarier der Hauptwert auf hohe Getreidepreise gelegt, während die vielseitige württembergische Veredelungswirtschaft fast gar nichts erreicht hat. Und jetzt, wo durch die Kontingentierung etwas dafür getan werden soll, geschieht es so zur Unzeit, daß wir überall Handelsschwierigkeiten bekommen. Ein Grundfehler aller Wirtschaftspolitik in Deutschland liege daran, daß alle Wirtschaftspolitik unter dem Drucke der Parteipolitik stehe. Die Wirtschaftspolitik müsse aus der Parteipolitik herausgehoben werden. Noch ein anderes müsse geschehen. Der 13. Juli 1931 habe gezeigt, daß unsere Wirtschaft unter dem unsinnigen Anwachsen einiger Unternehmungen fast zu Grunde gegangen sei. Die Bankenstützung habe nicht wegen der Bankaktionäre erfolgen müssen, sondern deshalb, weil sonst 40 Prozent der deutschen Wirtschaft, welche mit den 4 Großbanken auf das innigste verbunden war, vernichtet gewesen wäre. Die deutsche Wirtschaft müsse also von dem ungesunden Anwachsen der Großkonzerne befreit werden. Das Wirtschaftsprogramm der jetzigen Reichsregierung müsse unterstützt werden. Das Volk hat genug von Ministerstürzerei. Wenn aber die NSDAP die Regierung Papen bekämpfe, so müsse doch daran erinnert werden, daß, als Papen zum erstenmale zur Ministerkonferenz nach Stuttgart gekommen sei, er nur von den Nationalsozialisten am Bahnhof begeistert empfangen worden sei. Ein Grundfehler der heutigen Volksvertretungen sei es, wenn die Abgeordneten einer Partei anstatt, daß der einzelne nach seinem Gewissen abstimmen kann, vor der Abstimmung auch in wirtschaftlichen Dingen erst nach München anfragen muß, wie er abstimmen solle. Wenigstens sei heute gewiß, daß das Schicksal des Reiches nicht in die Hände eines Mannes u. einer Partei gelegt werde. Wenn jetzt auch wieder monarchistische Bestrebungen zum Vorschein kommen, so müsse doch gefragt werden, was die Revolution von 1918 gewesen sei. Es war die Flucht aller verantwortlichen Träger der damaligen Staatsgewalt. Es müsse auch gefragt werden, ob die vielen kleinen Potentaten den Verlockungen etwaiger Sondervergünstigungen so stand gehalten hätten wie die Republik und ob so die politische und wirtschaftliche Einheit des Deutschen Reiches erhalten geblieben wäre. Zu den Notwendigkeiten der Innenpolitik in Deutschland rechnete Herr Wirtschaftsminister Maier die Schaffung kleinerer Wahlkreise, um wieder persönliche Beziehungen zwischen den Wählern und den Abgeordneten herstellen zu können. Gegen die Nationalsoz. polemisierte er auch darüber, daß sie zuerst das Zentrum als die „schwarze Pest“ bezeichnet hätten und nachher gemeinsame Verhandlungen mit dem Zentrum gepflogen hätten. Herr Minister Maier sprach ruhig, sachlich und leidenschaftslos. Er erklärte, daß er sich als Kandidat für den Reichstag zur Verfügung gestellt hätte, daß er aber keinen anderen Zwang zur Abstimmung kenne, als sein eigenes Gewissen. Immerhin hat Herr Minister Maier gezeigt, daß das Bürgertum nicht allein auf die extremen Parteien angewiesen ist, sondern daß die Mittelparteien mit gutem Gewissen für das Beste des Volkes zu sorgen bereit sind.

(Vaterlandsfreund, Nr. 244, 16. 10. 1932)