() Niederstetten, 24. März. Einen sehr interessanten Vortrag über „Neuzeitliche Ernährung“ bot gestern der Landw. Hausfrauenverein seiner Mitgliedschaft. Gehalten wurde der Vortrag von Frl. Hopfinger von der württ. Landwirtschaftskammer. Frau Stadttierarzt Eysser begrüßte die gut besuchte Versammlung und die Referentin und erteilte der letzteren das Wort. Mit Rücksicht darauf, daß die Presse in den letzten Jahren so viel von neuzeitlicher Ernährung gebracht hat, was durch zu große Fachlichkeit verhindert hat, dem Laien ein Bild zu geben, wie er sein Leben in Einklang mit der Forschung bringen kann, geben wir einen ausführlichen Bericht. Fräulein Hopfinger führte ungefähr aus: Es ist schwierig, das Wesen der neuzeitlichen Ernährung zu erfassen und auf die jeweiligen Verhältnisse einzustellen, weil nicht einmal bewiesen ist, daß sie durchaus richtig ist. Menschen, die sich unvermittelt auf Rohkost einstellen, sind erkrankt, Kranke dagegen sind gesundet. Die neuzeitliche Ernährung muß daher vom Standpunkt eines gesunden Ausgleichs im menschlichen Körper betrachtet werden. Was hat nun die alte Ernährungsweise angestrebt und was will die neue Ernährungsweise? Früher war gut und viel Essen die Hauptsache. Eiweiß, Fett, Stärke und Zucker waren die Hauptbestandteile der Nahrung. Wir brauchen das Eiweiß, es ist unersetzlich, deshalb brauchen wir auch immer Fleisch und Eier. Ebenso brauchen wir Fett, Zucker und Stärke, denn sie unterstützen den notwendigen Verbrennungsprozeß im Körper und erzeugen nicht nur Wärme, sondern auch Kraft. Diese Stoffe brauchen wir also alle, weil sie Wärme u. Kraft erzeugen. Sie kommen aus dem Tierreich. Man kann sich durch sie erhalten, aber erhalten und gesund erhalten sind zweierlei Dinge. Im Zuviel sind diese Stoffe schädlich und erzeugen Harnsäureüberschuß, welcher die Ursache vieler Krankheiten (Gicht, Ischias, Ausschläge) ist. Sie erzeugen viele chronische Krankheiten, deren Hauptursache die Aufnahme von zu viel tierischem Eiweiß ist. Die Aerzte verordnen dann eine Diät ohne Fleisch und ohne Kochsalz. Zu diesen Krankheiten gehört auch die chronische Verstopfung, an welcher viel mehr Leute kranken als bekannt ist. Deshalb werden auch 70 Prozent aller Krankheiten als Ernährungskrankheiten angesehen. Nun gibt es eine neue Richtung, welche sagt, „überhaupt kein tierisches Eiweiß und nur Rohkost“. Da aber der Mensch gekochte Kost gewohnt ist, erleidet er dadurch mitunter Schaden. Deshalb wäre eine zu plötzliche Umstellung falsch, es sei denn, man würde schon beim Kinde mit dieser Kost beginnen. Was strebt nun die neue Ernährungsweise an und was ist zur Gesunderhaltung nötig? Neben den zuerst genannten Aufbausubstanzen brauchen wir Gesunderhaltungsstoffe. Das sind zunächst die Vitamine. Auch in unserer bisherigen Kost waren sie enthalten, aber nicht in genügendem Maße. Beim Obstessen wird von der Frucht aufgesogene Sonnenkraft frei. Vitamin ist dann von der Frucht aufgesogene Sonnenkraft, welche im Körper wirksam wird. Erhaltungsstoffe kommen aus dem Tierreich, Gesundheitsstoffe aus dem Pflanzenreich. Dann sind die Basen zur Gesunderhaltung notwendig. Sie bringen mit, was die böse Harnsäure im Körper ausgleicht. Nach gutem Essen Obst, welches das zuviel zu sich genommene Eiweiß ausgleicht. Viel Obst und Gemüse sollen roh gegessen werden, denn die Vitamine gehen beim Kochen verloren. Das Gleiche trifft auf die Basen zu. Dann hat der Körper 16 Mineralbaustoffe, welche in bescheidener Menge im Körper sind, deren Fehlen oder Minderung aber schwere organische Störungen hervorrufen. Einige seien genannt. Das Fehlen des Jod ist Ursache des Cretinismus, während ein zuviel die Basedowsche Krankheit erzeugt und krankhafte Steigerung der geistigen Leistungen mit sich bringt. Eisen ist ein Grundstoff des Blutes. Fehlt Eisen, so kommt zu wenig Sauerstoff in den Körper, die Bleichsucht ist die Folge. Die Alten sagen, „Alles was in der Natur grün ist; wird im Körper rot. Also durch das Essen von vielem grünen Naturerzeugnis bekommt der Körper Eisen und das ist leichter verdaulich als jede Mixtur. Ein dritter Baustein des Körpers ist der Kalk. Fehlt der Kalk zum Beispiel dem Säugling, so leidet der Aufbau des Knochengerüstes und führt zur englischen Krankheit. Skrophulose u. a. Es heißt also — hie Erhaltungsstoffe — hie Gesundheitsstoffe. Müssen wir nun in unserer Ernährungsweise alles anders machen? Nein, denn wir haben auch bis jetzt schon vieles recht gemacht. Nur in einigen Dingen müssen wir bessern. Wir müssen mehr uns der vegetarischen Nahrung zuwenden. Der Apfel z. B. enthält Eisen und Sauerstoff (gegen Blutarmut und Asthma), Phosphor (ebenfalls eine Gegenwirkung gegen viele Krankheiten), Zellstoff, welcher der Körperreinigung dienlich ist. Pfarrer Kneipp sagte schon: „Sauerkraut, Aepfel und Rettige sind die Putzfrauen des Körpers. Die Birne enthält Kalk (zum Knochenbau), die Kirsche enthält blutbildendes, leichtverdauliches Pflanzeneiweiß. Die Traube enthält Basen (gegen Rheumatismus). Auch für den mäßigen Genuß von Alkohol (ausgenommen natürlich bei Kindern) wußte die Rednerin ein gutes Wörtlein zu sagen. Die Brombeere und Heidelbeere sind gut gegen Durchfall und alle Beeren wirken drüsenreinigend. Die Himbeere wirft besonders der Skropholose und Rachitis entgegen. Letzere Krankheiten, welche auf dem Mangel an Kalk beruhen, erfordern auch besonders viel Gemüse. Die Preiselbeere enthält Schwefel und ist gut gegen Blasen- und Nierenleiden. Die Wacholderbeere dient der Körperreinigung, Rhabarber wirkt gegen Rheumatismus. Ein altes Sprichwort sagt: „Wer sich an Wachholder, Sauerrampfer und Rettiche hält, bleibt frei von Krebs und eitrigen Geschwüren. Nüsse enthalten das feine Nervenöl, Eiweiß und Fett. Gemüse, Bohnen, Linsen u. Erbsen bringen dem Körper Eiweiß, Gurke und Rettich sind basenreich. Die Gurke ist durch Einreiben auch der Hauttätigkeit förderlich und war ein beliebtes Schönheitsmittel der alten Römerinnen. Nicht hoch genug einzuschätzen ist die Kartoffel. Sie bildet nebst Milch und Bauernbrot die Urkraft des Bauern. Sie ist leicht verdaulich, entleidet nie und enthält, wenn auch wenig, Eiweiß. Der Knoblauch ist ein gutes Mittel gegen Würmer und sonstige Parasiten des Körpers und wirkt förderlich auf den Stoffwechsel. Das hohe Alter mancher Balkanstämme wird auf den häufigen Genuß von Knoblauch zurückgeführt. Rotkraut ist gut für die Nieren. Dies trifft auch auf den Kürbis, die Sellerie und den Spargel zu. Sauerkraut (möglichst in rohem Zustand genossen, ferner nicht zu sauer einmachen, nicht zu oft kochen) enthält Milchsäure, welche der Darmtuberkulose entgegenwirkt. Zwiebel, roh wie Aepfel gegessen, reinigen Drüsen, sie enthalten Jod. Rettich enthält viele anregende und reinigende Stoffe, gelbe Rüben enthalten Vitamine. Tomaten sind basenreich. Spinat und alles Grüne sind besonders vitaminhaltig. In der Küche müssen die Gemüsesuppen vorgezogen werden, der Wert der Fleischsuppen wird überschätzt. Als Gewürze sollen mehr und mehr wieder wie früher Küchenkräuter angebaut werden. Gemüse müssen zur Erhaltung der Geschmacks- und Gesundheitsstoffe weniger abgewellt und mehr gedünstet werden. Als Essig soll nur reiner Most- oder Weinessig verwendet werden, keine Essenz. Kinder sollen bis zum 6. Lebensjahre wegen der damit verbundenen Reizzustände wenig Fleisch und keine Eier bekommen, dagegen viel Hauskäse, Rahm, Tomaten. Obst muß in viel größerer Vielseitigkeit in Küche und als Rohkost Verwendung finden. Dann sollen als wichtige Zusätze zur Kost Honig und Zucker (letzterer in brauner, unraffinierter Form) erwähnt sein. Grundsatz der Ernährung muß sein, daß das, was dem Körper durch raffinierte Ernährung verloren geht, durch Gemüse und Obst wieder ersetzt werden muß. Der ganze Vortrag fand durch klare, übersichtliche Darstellung und logischen Aufbau den einmütigen Beifall aller Damen. Frl. Hopfinger hat sich damit den großen Dank unseres Landw. Hausfrauenvereins erworben. Der Vortrag wurde durch eine Reihe schöner Lichtbilder unterstützt.

Vaterlandsfreund, Nr. 70, 25. 3. 1930