Crailsheim, 25. Mai 1948
An die
Spruchkammer Mergentheim
Bad Mergentheim
In dem Spruchkammerverfahren gegen den Bürgermeister Karl Weber, Niederstetten
Aktz. 33/32/909
beantrage ich namens des Betroffenen in Erwiderung auf die Klageschrift, den Betroffenen in die Gruppe der
Mitläufer
einzureihen.
Begründung:
I.
1. Der Betroffene, der nach Ablegung seiner Prüfung für den mittleren gehobenen Verwaltungsdienst bis 1929 bei der Kreispflege Besigheim und als Gemeindepfleger in Holzheim, Krs. Göppingen tätig gewesen ist, war vom 1. 10. 1929 bis Juli 1937 Bürgermeister in Adelberg, Kreis Göppingen, sodann bis 20. 4. 1945 Bürgermeister in Niederstetten. Während der Kriegszeit versah er außerdem die beiden Gemeinden Oberstetten und Wildentierbach, sowie noch weitere 9 Gemeinden als nebenamtlicher Verwaltungsaktuar. Ferner war er stellvertretender Vorsitzender des Gemeindeverbandes der Elektrizitätswerke Ingelfingen-Hohebach.
Vgl. das Dienstzeugnis des Landratsamts Bad Mergentheim, Anlage 1.
2. Vor 1933 hat der Betroffene keiner Partei angehört. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass der Bürgermeister seiner Gemeinde am besten dienen und Gegensätze überbrücken kann, wenn er keine politische Bindung eingeht. Diesen Standpunkt suchte er auch aufrecht zu erhalten, als die Partei nach der Machtübernahme an ihn herantragt, seinen Eintritt zu erklären. Er lehnte dies mehrmals mit Nachdruck ab. Wenn er dann trotzdem im April 1933 beigetreten ist, so hatte dies folgenden Grund:
Als in einer Ortsgruppenversammlung der NSDAP die Vorschlagsliste mit den neuen Gemeinderäten beschlossen wurde, erklärte der Betroffene, er lehne eine Zusammenarbeit mit diesen Gemeinderäten ab, von denen die wenigsten das Vertrauen der Bevölkerung hätten. Es wurde dann von der Partei entgegnet, er könne nur dann mitreden, wenn er selbst Mitglied der Partei werde. Der Betroffene hatte insofern schon einen schweren Stand, als er wegen seines Verhaltens bei einer früheren Ortsgruppenversammlung, welcher er aus Interesse beigewohnt hatte, bei der Partei einen schwarzen Strich hatte. Er war nämlich damals bei dem Absingen des Horst-Wessel-Liedes gemeinsam mit dem Bäckermeister Geiger ostentativ sitzen geblieben. Um nun seinen Einfluss bei der Besetzung des neuen Gemeinderates geltend machen zu können, trat er der Partei wohl oder übel bei. Er ließ sich auch von der Hoffnung leiten, dass die Partei schließlich doch die wirtschaftliche Not der in seiner Gemeinde zahlreich vorhandenen Arbeitslosen bessern könne.
Die Übernahme eines Amtes in der Ortsgruppe (Propagandaleiter) ergab sich später daraus, dass sich auf dem Rathaus die einzige für die Partei greifbare Schreibmaschine befand.
Vgl. hierzu die Eidesstattl. Erklärung des Hermann Herb, Adelberg, Anlage 2.
3. Bei seiner Tätigkeit für die Partei hat der Betroffene keine besondere Aktivität entwickelt. Sein Hauptbestreben ging dahin, die Gegensätze zwischen Partei und Einwohnerschaft im Interesse der gesamten Gemeinde zu überbrücken. Er hat sich gegen jede Gewaltmaßnahme und Schikane gewandt. Soweit er für die NSV tätig war, hat er diese Tätigkeit als solche caritativer Art betrachtet.
Die Spannungen mit der örtlichen Parteileitung und der Kreisleitung wurden mit der Zeit immer größer, da er sich in die Gemeindeangelegenheiten nicht reinreden ließ. So beschloss er, sich in einem anderen Ort um das Amt des Bürgermeisters zu bewerben.
Vgl. hierzu die Äußerung des Bürgermeisters Daiber, Adelberg, Anlage 3.
Zunächst bewarb er sich in Oberberken und Börtlingen, ferner in 3 weiteren Gemeinden. Jedoch immer ohne Erfolg. Er wurde von den betreffenden Kreisleitern abgelehnt.
Vgl. die Eidesstattl. Erklärung des Hermann Herb, Anlage 2.
Schließlich reichte er seine Bewerbung um Niederstetten ein. Er gibt offen zu, bei der Bewerbung – um nur von Adelberg fortzukommen – angegeben zu haben, er sei in Adelberg auch stellvertretender Ortsgruppenleiter und Organisationsleiter gewesen. In Wirklichkeit war er beides nicht. In Adelberg hat es diese Funktionen überhaupt nicht gegeben.
Beweis: Eidesstattl. Erklärung des damaligen Ortsgruppenleiters Breitling, Anlage 4.
Eidesstattl. Erklärung des Herm. Herb, Anlage 2.
Auch aus dem Schreiben des Belastungszeugen Bürglen an die Spruchkammer vom 3. 8. 1947 ergibt sich, dass der Betroffene nur Propagandaleiter gewesen ist.

4. In Niederstetten versuchte die dortige Ortsgruppe alsbald, den Betroffenen wieder für ein Amt zu gewinnen. Man wollte ihn zum Schulungsleiter u. a. machen. Er lehnte alles ab. Er wollte endlich völlig frei sein. Nach einigen Monaten wurde er dringend angegangen, wenigstens das Amt des NSV-Amtsleiters zu übernehmen. Dies konnte er schließlich, nachdem er sich lange genug gesträubt hatte, nicht mehr ablehnen.
Der Betroffene hat diese Funktion übernommen in der Erwartung, nunmehr vor der Partei Ruhe zu haben, außerdem sagte er sich, dass er in diesem Amt praktisch ohne Rücksicht auf Parteimitgliedschaft dort helfen könne, wo es notwendig sei. Im übrigen stellte er sich auf den Standpunkt, dass die NSV mit der Partei unmittelbar nichts zu tun habe. Er stellte daher bei der Übernahme dieser Funktion die Bedingung, dass er vom Besuch der wöchentlichen Besprechungen des Ortsgruppenstabes befreit sei. Dies wurde ihm auch bewilligt. Als Bürgermeister erblickte er in der NSV ein Instrument, das es ihm ermöglichte, die stark beschränkte Armen- bzw. Fürsorgeunterstützung der Gemeinde sehr wesentlich zu ergänzen und dadurch gleichzeitig den Gemeindehaushalt finanziell zu schonen. Ein wesentlicher Teil seiner Tätigkeit bestand in der Übernahme und Verschickung erholungsbedürftiger Kinder und Frauen, in der Unterbringung ausgebombter Familien aus den Städten und in der Gewährung von Unterstützung. Als Bürgermeister hatte er genug Einblick in die wirklichen Verhältnisse, sodass eine gerechte Verteilung der Mittel gewährleistet war.
Ein sonstiges Amt hat er nicht mehr übernommen. Von der Partei selbst hat er sich stark zurückgezogen.
5. Sein Bürgermeisteramt hat der Betroffene streng sachlich geführt und zwar sowohl in Adelberg wie in Niederstetten. Auch der Belastungszeuge Bürglen konnte ihm die Anerkennung nicht versagen, dass er ein tüchtiger und großzügiger Beamter und Ortsvorsteher gewesen ist.
Vgl. ferner das Dienstzeugnis des Landratsamts Bad Mergentheim, Anlage 1.
Äußerung des Bürgermeisters Daiber, Adelberg.
II.
Gegen den Betroffenen ist eine Reihe von Belastungen zusammengetragen worden, von denen jedoch keine einzige Bestand hat.
1. Von dem Belastungszeugen Forstmeister Bürglen ist u. a. behauptet worden, der Betroffene habe sich, nachdem er zunächst nur zögernd zur Partei gekommen sei, in den folgenden Jahren in Adelberg mit ganzer Kraft und Energie für die NSDAP und ihre Ziele eingesetzt. Er habe auch versucht, die NSV-Spenden immer mehr in die Höhe zu schrauben.
Zufolge seiner Initiative sei der damalige Stützpunktleiter Breitling vom Kreisleiter abgesetzt und durch den nachmaligen Ortsgruppenleiter Stähle ersetzt worden, weil Breitling nicht scharf genug gewesen sei. Der Betroffene habe dann diesen berüchtigten Ortsgruppenleiter Stähle tatkräftig unterstützt und trage somit die moralische Verantwortung für den ungewöhnlich scharfen NS-Druck in Adelberg.
Der Betroffene steht auf dem Standpunkt, dass der Zeuge garnicht jenen Einblick in die Verhältnisse gehabt hat, persönlich in solcher Weise gegen ihn auslassen zu können. Richtig ist, dass der Betroffene, wie oben geschildert, nur zögernd zur Partei gekommen ist. Er hat immerhin verhindert, dass in den Gemeinderat Vertreter kamen, die kein Vertrauen in der Bevölkerung hatten. Im übrigen hat er keineswegs den Nazi gespielt, sondern sich stets zum Wohl der gesamten Gemeinde eingesetzt. Auch Nicht-Parteigenossen haben Vertrauen zu ihm gehabt und haben ihre Anliegen vorgebracht, wie sie dies einem Nazi gegenüber niemals getan hätten. Der Zeuge Bürglen wird nicht behaupten können, dass der Betroffene jemals eine politische Rede oder einen politischen Vortrag gehalten oder dass er z. B. ihn selbst für die Partei habe werben wollen, obwohl der Zeuge sein nächster Nachbar war.
Was die Ablösung Breitlings durch Stähle betrifft, so ist dies keineswegs auf die Initiative des Betroffenen erfolgt, wie ihm unterstellt wird. In Wirklichkeit war der 1. Anlass dazu eine Differenz zwischen den beiden Genannten anlässlich einer Ortsgruppenversammlung. Diese Differenz sollte vom Kreisleiter lediglich geschlichtet werden. Es ist richtig, dass der Betroffene zu diesem Zweck mit Stähle beim Kreisleiter gewesen ist. Dieser hat jedoch alsbald erklärt, Breitling sei als Ortsgruppenleiter bzw. Stützpunktleiter nicht mehr tragbar und zwar deshalb, weil er nach Mitteilung des Landratsamtes in seinem Militärpass gewisse Manipulationen zwecks Erlangung des Frontkämpferehrenkreuzes vorgenommen habe. Diese Sache wurde dann unterdrückt. Der Betroffene hat die Anständigkeit besessen, über den wahren Grund der Abberufung Breitlings Stillschweigen zu bewahren. Stähle hat sich selbst seinerzeit entschieden dagegen gewehrt, an die Stelle von Breitling zu treten, bis ihm der Kreisleiter den förmlichen Befehl dazu erteilt hat.
Vgl. hierzu: Eidesstattl. Erklärung des ehem. Kreisamtsleiters Fritz Steinbuch, Anlage 5.
Der Betroffene hat sich zu dem neuen Ortsgruppenleiter Stähle in keiner Weise "positiver" verhalten wie zu seinem Vorgänger. Im Gegenteil haben sich die Spannungen verschärft, sodass der Betroffene nur noch das Bestreben hatte, von Adelberg fortzukommen. Auch dies ist bereits geschildert. Wenn der politische Druck später sich verschärft haben sollte, so kann der Betroffene hierfür unmöglich auch nur mittelbar verantwortlich gemacht werden.
An irgendwelchen Aktionen gegen den Zeugen Bürglen, die dieser andeutet, war der Betroffene nicht beteiligt. Er ist insbesondere auch nicht daran schuldig gewesen, dass Bürglen der Auslandspass entzogen worden ist. Eine politische Äußerung hat er über ihn nicht abgegeben. Dagegen hat er sich in zwei Fällen für den Zeugen Bürglen bzw. dessen Ehefrau eingesetzt.
Als die Ehefrau Bürglen 1933 wegen einer abfälligen Äußerung anlässlich einer Sammlung der SA zur Meldung gebracht werden sollte, hat sich der Betroffene mit Nachdruck ins Mittel gelegt und sich bemüht, die Sache abzudrehen, die dann schließlich auch anderweit ihre Erledigung gefunden hat.
Ferner hat sich der Betroffene ständig gegen die Forderungen aus der Gemeinde – auch seitens Nicht-PG – gewehrt, welche dahin gingen, dem Zeugen Bürglen die von ihm gepachteten staatlichen Grundstücke zu entziehen und selbst den Landwirten zuzuteilen. Der Betroffene erklärte es damals für ein Unrecht, Forstmeister Bürglen auf diese Weise drücken zu wollen.
Beweis: Eidesstattl. Erklärung des Karl Seitzer, ehem. Ortsbauernführer in Adelberg, Anlage 6.
2. Auch die weitere in der Klage angeführten Behauptungen, der Betroffene sei "als NS-Bürgermeister" nach Niederstetten gekommen, er habe dieses Amt nur erhalten, weil er ein großer Nazi gewesen sei, findet ihre eindeutige Widerlegung. Nach Angabe des Bürgermeisters Huss soll der Betroffene sogar extra von einer Kommission, die aus dem Gemeinderat und Parteimitgliedern bestanden habe, als Bürgermeister nach Niederstetten geholt worden sein, alter PG gewesen sei, worauf die Kommission Wert gelegt habe.
Abgesehen davon, dass der Betroffene kein "alter PG" war, ist der wirkliche Hergang folgender gewesen:
Der Gemeinderat in Niederstetten wollte als neuen Bürgermeister im Jahre 1937 einen tüchtigen Verwaltungsfachmann, der eine erfolgreiche Praxis hinter sich habe. Gerade auf Parteimitgliedschaft oder Parteiverdienste kam es dem Gemeinderat nicht an. Der Gemeinderat zog von den zahlreichen Bewerbungen drei in die engere Wahl, darunter den Betroffenen. Um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen, erschien die Kommission des Gemeinderats in Adelberg. Sie bestand aus dem Gemeinderat Linder, der der Partei nicht angehörte, dem Gemeinderat Osiander, dem I. Beigeordneten Melber und dem II. Beigeordneten Thomas. Der Kommission fiel in Adelberg auf, dass Sauberkeit herrschte und auch im übrigen alles in Ordnung war. Die Mitglieder der Kommission verteilten sich auf einige Wirtschaften, wo sie über den Betroffenen Erkundigungen einzogen. Auch auf der Straße wurden Leute von Adelberg angehalten und über den Betroffenen befragt. Über die parteipolitische Tätigkeit des Betroffenen und über seine politische Einstellung überhaupt erkundigte sich niemand. Es ging insbesondere auch niemand von der Kommission zu dem damaligen Ortsgruppenleiter von Adelberg. Nach einiger Zeit wurde der Betroffene zu einer Sitzung des Gemeinderats nach Niederstetten eingeladen. Dort waren lediglich die Gemeinderäte anwesend, dagegen kein Vertreter des Landratsamts und auch kein Vertreter der Kreisleitung, wie dies sonst in solchen Fällen üblich war. Mit keinem Wort wurde auch hier die politische Einstellung und Tätigkeit des Betroffenen angeschnitten. Bei der Frage des II. Beigeordneten Thomas, ob der Betroffene sich nicht noch dem Kreisleiter vorstellen wolle, wurde von dem Gemeinderat Knenlein erklärt, das sei nicht notwendig, der Bürgermeister werde von der Gemeinde bezahlt und es sei Sache der Gemeinde, sich nach ihrem Bürgermeister umzusehen, den Kreisleiter gehe dies nichts an.
Der Betroffene ist also ohne jede Beteiligung der Partei als reiner Verwaltungsfachmann und Praktiker Bürgermeister von Niederstetten geworden. Der Angabe seiner Parteifunktion in seiner Bewerbung hätte es überhaupt nicht bedurft.
Zum Beweis für das Vorstehende wird die eidesstattliche Erklärung der früheren Gemeinderäte vorgelegt.
Vgl. Äußerung des Friedrich Melber, Karl Melber, Johann Linder, Heinrich Hermann, Richard Knenlein, Karl Streitberger, Otto Osiander. Außer Linder war auch Heinrich Hermann weder bei der Partei noch bei einer Gliederung. Anlage 7.
Der Betroffene hat seine unpolitische Haltung als Bürgermeister auch in Niederstetten bewahrt. Es wird wohl wenige Gemeinden gegeben haben, in denen die Partei auf dem Rathaus so wenig zu sagen hatte wie hier. Der Ortsgruppenleiter Thomas wurde in seiner Eigenschaft als II. Beigeordneter nicht für voll genommen. Es kam so weit, dass Thomas zu keiner Sitzung mehr erschien, was im Gemeinderat und auch vom Betroffenen allgemein begrüßt wurde. Mit dem Nachfolger im Ortsgruppenleiteramt namens Wallrauch hat der Betroffene sofort vereinbart, dass er bezüglich der Gemeindeverwaltung nicht dreinreden werde.
Im übrigen hat auch das Landratsamt dem Betroffenen das Zeugnis ausgestellt, er habe sich um das Wohl der Gemeindeangehörigen jederzeit angenommen und diese ohne Unterschiede und ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit gleich behandelt. Die Interessen seiner Gemeinde habe er auch nach außen stets nachdrücklich vertreten und zum Erfolg geführt. In besonderem Maße sei es ihm gelungen, auch manche Schwierigkeiten zu überwinden, die sich durch die Zusammensetzung der Gemeinde Niederstetten aus drei Konfessionen (evang., kath. und jüdisch) ergeben hätten. So habe er es verstanden, auch den konfessionellen Frieden zu erhalten.
Vgl. Dienstzeugnis des Landratsamts, Anlage 1.
Hierzu sei aus der amtlichen Auskunft noch beigefügt, dass der Betroffene in seiner Art Mäßigung gezeigt und sich keinerlei Unterstützung von Exzessen habe zu schulden kommen lassen, persönlich sei er ein anständiger Mensch gewesen.
3. Unter Ziff. 3 der Klage ist als weitere Belastung ein Schreiben des Betroffenen vom 24. 8. 1937 angeführt, worin er als Bürgermeister der Gemeinde Niederstetten die Vergebung einer Gemeindelieferung an eine Firma Färber in Niederstetten vom Beitritt zur NSV abhängig gemacht hat. Der Betroffene bestreitet dies nicht. Er hat jedoch damit nur einer ausdrücklichen Forderung der Parteileitung entsprochen. Er besprach den Fall damals mit dem I. Beigeordneten Melber, der ihm riet, den Brief ebenso zu schreiben, wie es gewünscht worden sei, dann habe er seine Ruhe vor der Ortsgruppenleitung und könne immer noch machen, was er wolle. Dementsprechend hat der Betroffene auch keinerlei Konsequenzen daraus gezogen, als Färber der NSV doch nicht beigetreten ist. Er hat ihm vielmehr den Auftrag trotzdem gegeben und hat auch fernerhin Lieferungen an ihn vergeben, wie vorher auch. Färber betont, dass er vom Betroffenen nie eine Benachteiligung erfahren habe wegen seiner Weigerung, der NSV beizutreten.
Beweis: Eidesstattl. Versicherung des Wilhelm Färber, Mechanikermeister in Niederstetten, Anlage 8.
4. Unter Ziff. 2 der Klage wird gegen den Betroffenen der Vorwurf erhoben, er habe im Kriege das Ernteurlaubsgesuch des Gastwirts Eugen Nörr, das dieser für seinen Sohn einreichte, gefälscht, um eine Ablehnung herbeizuführen und dadurch Nörr, der als einziger Gastwirt in Niederstetten dem NS ablehnend gegenüber gestanden sei, zu drücken. Der Betroffene soll von dem Gesuch eine Abschrift mit anderen Angaben über die Hoffläche (17 ha statt 20 ha) und über den Grad der Arbeitsunfähigkeit des Gastwirts Nörr (50% statt 100%) gefertigt und diese Abschrift weitergeleitet haben. Ein erneutes Gesuch des Nörr habe er von vornherein garnicht angenommen.
Gegen dieses ganze Vorbringen verwahrt sich der Betroffene mit aller Entschiedenheit. Er hat den Zeugen Nörr genau so behandelt wie jeden anderen Gesuchsteller auch. Er hat alle Gesuche stets persönlich bearbeitet, hat in Gegenwart der Gesuchsteller seine Äußerung beigesetzt und die Gesuche jeweils den Antragstellern gleich mitgegeben zwecks Überbringung zum Ortsbauernführer, der auch zu unterschreiben hatte. Die Antragsteller haben somit immer lesen können, was der Betroffene zu dem Gesuch geäußert hat. Ebenso konnten sie kontrollieren, wenn der Betroffene das Gesuch selbst, wie es meist der Fall war, für den Gesuchsteller in ihrer Gegenwart geschrieben hatte. Was die Angaben über die Hofflächen betraf, so wurden diese aus der Anbauliste entnommen, die auf Grund der von den Landwirten gemachten Angaben gefertigt wurde. Diese Flächen waren auch auf der Hofkarte bei der Kreisbauernschaft verzeichnet, wo die Angaben jeweils nachgeprüft wurden. Der Betroffene hat niemals ein Gesuch gefälscht oder nachträglich eigenmächtig abgeändert. Wenn dem Sohn des Zeugen Nörr tatsächlich von seiner Einheit eröffnet worden sein soll, dass das Gesuch die beanstandeten Angaben enthalten habe, so wäre es richtig gewesen, sofort beim Betroffenen zu reklamieren und die Sache zu klären. Der Betroffene versichert, dass er auch im Falle Nörr nichts Unrechtes getan hat.
Dass er jedes Gesuch um UK-Stellung, Urlaub usw. bis an die Grenze des Möglichen und ohne jede Rücksicht auf Parteizugehörigkeit vertreten hat, um seinen Gemeindegliedern zu helfen, wird ihm vielfach bescheinigt.
Vgl. Eidesstattl. Erklärung des Albert Weber, Johann Linder, Johann Mennikheim und 10 weiterer Gemeindemitglieder von Niederstetten, die sämtlich Nicht-PG waren, Anlage 9.
Äußerung des Gemeinderats Karl Melber, Niederstetten, Anlage 10.
Der Zeuge Melber bekundet auch, dass der Betroffene die Angaben über die Dringlichkeit der Gesuche oft derartig gesteigert hat, dass es kaum zu vertreten gewesen sei. Oft sei davon gesprochen worden, der Bürgermeister und der Ortsbauernführer würde noch eingesperrt, wenn diese Übertreibungen herauskämen.
Der weiteren Behauptung des Zeugen Nörr gegenüber, er sei auch sonst vom Betroffenen aus politischen Gründen gedrückt worden, sei nur auf folgende Tatsache hingewiesen:
Der Betroffene hat sich zu Beginn des Krieges erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Sohn des Zeugen Nörr uk-gestellt wurde. Diese UK-Stellung wurde jahrelang gehalten, obgleich der Betroffene auch seitens der Einwohnerschaft hierwegen Vorwürfe erhielt.
Der Zeuge Nörr hatte im Krieg einen Kriegsgefangenen, der sehr gut arbeitete. Während einer dienstlichen Abwesenheit des Betroffenen verfügte der Ortsgruppenleiter, dass dieser Gefangene dem Zeugen Nörr weggenommen und anderweitig eingesetzt werde. Dafür erhielt er einen weniger arbeitssamen Kriegsgefangenen zugewiesen. Als der Betroffene nach seiner Rückkehr von dieser Sache hörte, stellte er als bald den alten Zustand wieder her, indem er dem Zeugen Nörr den tüchtigen Arbeiter wieder zuwies. Es wurde dann von Betroffenen verlangt, er solle sich bei einer Ortsgruppensitzung beim Ortsgruppenleiter entschuldigen. Dies lehnte er ab mit dem Bemerken, dass er sich in Angelegenheiten des Bürgermeisters vom Ortsgruppenleiter nichts sagen lasse. Er verlange selbst, dass dieser in Zukunft die Finger von den Sachen lässt, die ihn nichts angehen. Diesen Standpunkt musste der Ortsgruppenleiter schließlich anerkennen.
Als von der Kreisleitung im Benehmen mit dem Arbeitsamt verlangt wurde, dass die Wirtschaft des Zeugen Nörr geschlossen werde, wandte sich der Betroffene energisch dagegen und wies darauf hin, dass es ein Unrecht sei, gerade den Betrieb des Zeugen Nörr als einzigen in Niederstetten zu schließen. Durch das Eintreten des Betroffenen ist die Schließung dann auch unterblieben.
Die ganze Einstellung des Zeugen Nörr gegen den Betroffenen rührt wohl daher, dass er im Jahre 1937, als es sich um die Wiedereröffnung der Brennerei des Zeugen handelte, dieses nach Rücksprache mit dem Gemeinderat und dem Ortsbauernführer gegenüber dem Hauptstellenamt als nicht genügend vertrauenswürdig bezeichnet hat. Diese Stellungnahme war auch begründet. Auch heute würde der Betroffene sie nicht anders abgeben können. Die Spruchkammer möge sich über den Zeugen in dieser Hinsicht selbst in Niederstetten erkundigen.
5. Auch hinsichtlich der Versteigerung von Judensachen hat der Betroffene ein gutes Gewissen. Die Versteigerung ist durch das Finanzamt – Finanzamtsangestellten Betzner – vorgenommen worden. Der Betroffene hat für sich persönlich zwei kleine Schränkchen und einen Koffer erworben. Er hat die Gegenstände ordnungsmäßig bezahlt. Einen Schrank, einen Läufer und einen Teppich hat er für die Stadtgemeinde übernommen. Auch hierfür wurde der ordentliche Preis entrichtet. Wegen des Preises der Möbel hat sich der Betroffene noch besonders bei dem Hersteller Josef Blum in Berlichingen erkundigt, um eine richtige Grundlage für die Berechnung zu haben. Er hat dann den höchstmöglichen Preis von 70% des Neuwertes bezahlt.
Vgl. Äußerung des Schreiners Josef Blum, Anlage 11.
Nochmals hat er den Erwerb der Sachen ordnungsgemäß dem Vertreter der jüdischen Belange, Julius Fechenbach, Bad Mergentheim angezeigt.
Der Tatbestand des Art. 9 des Gesetzes scheidet völlig aus.
In Anlage 11 der Spruchkammerakte wird noch behauptet, der Betroffene und der Amtsbote Stapf hätten die Häuser der Juden ausgeplündert. Dies ist eine üble Verleumdung. Der Betroffene hat die Schlüssel der Judenwohnungen seinerzeit dem Amtsboten Stapf übergeben mit der Anweisung, dass er selbst nie ohne Zeugen die Judenwohnungen betrete, um jeden Verdacht auszuschalten, dass irgend etwas widerrechtlich aus den Wohnungen entfernt werde. Derartiges ist auch nie geschehen.
Beweis: Zeugnis des Amtsboten Stapf, Niederstetten.
Was den Judenfriedhof angeht, der 1945 an die Gemeinde Niederstetten verkauft wurde, so war dies, wie andererseits, eine behördliche Angelegenheit. Der Betroffene hat sich übrigens seinerzeit gegen diesen Erwerb ausgesprochen. Die Gemeinde hat sich verpflichtet, den Friedhof einige Jahrzehnte unangetastet zu lassen.
Im übrigen wird auf die späteren Ausführungen über das Verhalten des Betroffenen gegen die Juden verwiesen (III Ziff. 3).
6. Der Erwerb das Hausgrundstücks durch den Betroffenen, welchen Bürgermeister Huss nach Anl. 10 der Spruchkammerakten beanstanden zu müssen glaubte, war eine persönliche Angelegenheit des Betroffenen, die mit Politik nicht das Geringste zu tun hatte. Es sei lediglich noch klargestellt, dass es sich auch um kein Judeneigentum gehandelt hat. Der Betroffene hat keinen Grund, irgendetwas zu verbergen. Er sieht sich jedoch nicht veranlasst, auf derartige Verdächtigungen hin darzulegen, welche persönlichen und familiären Mittel ihm zum Erwerb zur Verfügung standen. Es sei lediglich betont, dass der Betroffene sich weder der Hilfe der Gemeinde noch der Partei bedient hat. Zur Ergänzung sei noch angeführt, dass der Betroffene in das Hausgrundstück auch noch etwa 7 500, – RM hineingesteckt und dass er das Grundstück nach dem Erwerb noch einmal der Gemeinde zum Kauf angeboten hat.
Hiernach entfällt jegliche materielle Belastung. Übrig bleiben die formellen Belastungen mit Ausnahme der Formaltbelastung durch das Amt des Bürgermeisters, die völlig ausscheidet.
III.
Ich bin der Auffassung, dass schon unter den angeführten Umständen die gesetzliche Vermutung im Sinne des Art. 10 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 entsprechend der Kammermitteilungen des Ministeriums für politische Befreiung Nr. 47 vom 7. 2. 1948 als widerlegt anzusehen ist und das ohne weiteres eine Einstufung des Betroffenen in die Gruppe IV gerechtfertigt wäre.
Der Betroffene will jedoch völlige Klarheit über seine Wirksamkeit schaffen, um auch im Rahmen des Art. 12 des Gesetzes eine gerechte Beurteilung seiner Persönlichkeit zu begründen.
Im folgenden wird daher eine Reihe von Umständen dargelegt, die im übrigen das unter I und II Vorgetragene ergänzen und bekräftigen. Nur hilfsweise wird auf Art. 11 des Gesetzes abgestellt.
1. Obwohl von der Partei häufig dagegen gearbeitet wurde, hat der Betroffene als Bürgermeister von Niederstetten mehrfach Nicht-Pg angestellt so z. B. den Stadtpfleger, den Fronmeister und den Farrenwärter.
Vgl. Eidesstattl. Erklärung des Georg Linder, Karl Waldmann und des Friedrich Krummrein, Anlage 12.
Die Zeugen bekunden, dass der Betroffene stets ein guter, sozial eingestellter Vorgesetzter gewesen ist. Der Zeuge Linder hebt als ehemaliger Stadtpfleger noch hervor, dass der Betroffene vom Kreisleiter öfters die Aufforderung erhielt, ein Amt im RDB zu übernehmen. Dies habe er stets abgelehnt. Bei ein oder zwei Betriebsappellen seien gedruckte Vorträge, die der Betroffene zugeschickt erhalten habe, zur Verlesung gekommen. Dann habe der Betroffene erklärt, dass sei alles Blödsinn, die in Bad Mergentheim könnten ihn im Adler treffen. Die zugestellten Parteischriften seien dann jeweils ohne weiteres in den Papierkorb gewandert.
Auch in Adelberg hat der Betroffene übrigens einen Nicht-PG zum Gemeindepfleger bestellt, den Zeugen Adolf Geiger. Hierwegen hat er schwere Vorwürfe seitens der Kreisleitung einstecken müssen, die sich noch bis zu seinem Weggang von Adelberg immer wieder erneuerte.
Beweis: Eidesstattl. Versicherung des Adolf Geiger, Adelberg, Anlage 13.
Hinsichtlich der Tätigkeit des Betroffenen als Verwaltungsaktuar in Adolzhausen, Markelsheim, Rot, Herbsthausen, Pfitzingen, Apfelbach und Herrenzimmern wird dem Betroffenen das übereinstimmende Zeugnis ausgestellt, dass er stets so gehandelt habe, wie es zum Vorteil der ganzen Gemeinde notwendig gewesen sei. Politisch seit der Betroffene nie hervorgetreten. Er habe nie ein Wort über Politik verloren.
Vgl. Äußerung des Bürgermeisters Kraft und des Gemeinderats in Adolzhausen, Anlage 14.
Äußerung des Gemeindepflegers Bumm, Markelsheim, Anlage 15.
Äußerung des Gemeindepflegers Heuring, Rot, Anlage 16.
Äußerung des Bürgermeisters a. D. Wunderlich, Herbsthausen, Anlage 17.
Äußerung des Gemeinderats in Pfitzingen, Anlage 17a.
Äußerung des früheren Bürgermeisters Anton Schmidt, Apfelbach, Anlage 18.
Äußerung des Bürgermeisters Meder, Herrenzimmern, Anlage 19.
Der Zeuge Schmidt hebt noch hervor, der Betroffene habe oft mit ihm zusammen über Anordnungen in der Partei geschimpft und den Rat gegeben, dass sich die Bürgermeister in ihren Angelegenheiten von der NSDAP nichts gefallen lassen sollten. Als die Sakristei der katholischen Kirche in Apfelbach gebaut wurde, wofür die Gemeinde die ziemlich hohen Kosten ohne jede Verpflichtung übernahm, habe der Betroffene zwar pflichtgemäß darauf hingewiesen, dass dies angehe, weil die Verwendung von Gemeindemitteln für kirchliche Zwecke und unstatthaft sei. Der Betroffene habe jedoch hinzugesetzt, er hoffe, dass niemand in Apfelbach sei, der dieser Sache nachstänkern werde, er selbst werde keine Meldung machen.
Der Zeuge Meder bekundet gleichfalls, dass der Betroffene über die Partei geschimpft und erklärt habe, von ihr nichts gefallen lassen. Der Betroffene habe sich auch in Herrenzimmern mit allen Mitteln gegen die Einsetzung eines vom Kreisleiter vorgesehenen Bewerbers um die Gemeindepflegerstelle gewehrt.
Von der Stadtpflege Niederstetten wird dem Betroffenen bezeugt, er habe nie einen politischen Druck auf Angestellte und Arbeiter der Gemeinde Niederstetten auszuüben versucht.
Vgl. Äusserung des Stadtpflegers Pflüger, Niederstetten, Anlage 20.
Der Betroffene hat sich auch nicht um das Verbot des Kreisleiters in Bad Mergentheim gekümmert, wonach Parteigenossen bei dem Gastwirt Andreas Dörr nicht verkehren durften. Dörr bezeugt, dass der Betroffene auch bei ihm oft die Maßnahmen der Partei scharf kritisiert habe.
Zeugnis des Andreas Dörr, Bad Mergentheim, Gastwirt, Anlage 21.
Als überzeugter Nazist hätte sich der Betroffene in allen diesen Fällen anders verhalten.
2. Das gleiche gilt auch hinsichtlich seine Einstellung zur Kirche. Er ist zu keiner Zeit aus der evang. Kirche ausgetreten und hat alle seine Kinder evang. taufen und erziehen lassen. Dem evang. Kirchenchor stellte er einen Raum der bürgerlichen Gemeinde zur Verfügung, obwohl dies von der Parteileitung beanstandet wurde. Auch darum hat er sich jedoch nicht gekümmert.
Beweis: Zeugnis des Stadtpfarrers Göltenboth, Niederstetten, Anlage 22.
Hinsichtlich des guten Verhältnisses zum Pfarramt in Adelberg verweise ich auf den Brief des seinerzeitigen Pfarrer Stahl, den dieser nach dem Weggang des Betroffenen aus Adelberg an ihn geschrieben hat.
Vgl. Anlage 22 a.
3. Von besonderer Bedeutung ist das Verhalten des Betroffenen gegenüber den Juden.
a.) Schon das Landratsamt hat – wie erwähnt – hervorgehoben, dass der Betroffene in Niederstetten den konfessionellen Frieden zu wahren verstand. Er hat die Juden stets menschlich behandelt und auch in gar keinem Falle ihre Lebensmittelkarten gekürzt. Mit Brennmaterial hat er sie genau so versorgen lassen, wie die übrige Einwohnerschaft auch. Stets hat er auch darauf gesehen, das von den städtischen Angestellten keinerlei Unterschiede gemacht würden.
Beweis: Zeugnis des Georg Linder und der Helene Streitberger, Niederstetten, Anlage 23.
b.) Der Vorwurf in der Klage, der Betroffene habe sich nicht getraut, gegen Judenaktionen aufzutreten, entbehrt jeder Grundlage. Während seiner Amtszeit ist in einem Fall von Einzelnen gegen den Juden Levi vorgegangen worden, wovon der Betroffene jedoch erst am folgenden Tag erfahren hat.
Als am 8. bzw. 9. November 1938 die Gefahr bestand, dass auch die Synagoge in Niederstetten angezündet würde, hat der Betroffene zusammen mit dem Amtsdiener Stapf die Synagoge versiegelt und sie mittels eines Anschlags unter den Schutz der Gemeinde gestellt. Den Synagogendiener Rosenthal hat er beruhigt und hat ihm die Weisung gegeben, notfalls alsbald nach ihm zu schicken, wenn er etwas Verdächtiges bemerke.
Beweis: Zeugnis des Amtsdieners Wilhelm Zapf, Niederstetten, Anl. 24.
Die Synagoge in Niederstetten ist als einzige im Umkreis noch jahrelang für die Gottesdienste und für jüdische Schulzwecke benützt worden. Der Betroffene hat auch auswärtigen jüdischen Kindern den Zuzug nach Niederstetten genehmigt, damit sie hier die Schule besuchen konnten. Er hat sich nicht darum gekümmert, dass hiergegen von der Partei Sturm gelaufen wurde. Es stand damals übrigens Spitz auf Knopf, dass der Betroffene wegen seines judenfreundlichen Verhaltens als Bürgermeister abgesetzt worden wäre. Die Gauleitung hat ihm in einem Schreiben vorgeworfen, dass er als einziger Bürgermeister die jüdische Synagoge in Schutz genommen habe. Dieser Brief ist dem Betroffenen leider im Rathaus Niederstetten mit seinen anderen Papieren verbrannt.
c.) Ende 1938 oder Anfang 1939 kam die jüdische Witwe Selling zum Betroffenen aufs Rathaus und klagte ihm, sie sei in Lehrberg bei Nürnberg aus ihrem Haus gewiesen worden und stehe nun mit ihren vier Kindern ohne Unterkunft auf der Straße. Der Betroffene hat ihr alsbald Unterkunft in dem zur Synagoge gehörenden Gebäude Nr. 136 gewährt, und zwar trotz aller Quertreibereien seitens der Ortsgruppenleitung und des Kreisleiters.
Beweis: Äußerung des Stadtpflegers Pflüger, Niederstetten, Anlage 20.
Als später das Haus Nr. 136 zum Verkauf kam, bat der Vorsteher der Judengemeinde, Wolf Braun, den Betroffenen, in den Kaufvertrag die Klausel aufzunehmen, dass die Familie Selling noch so lange dort wohnen dürfe, bis sie auswandere. Trotz des Verbots, noch Rechte für Juden zu begründen, hat der Betroffene dieses Wohnrecht der jüdischen Familie in den Vertrag aufgenommen.
Beweis: Grundbuchakten in Niederstetten Nr. 201/427.
d.) Der Betroffene hat auch trotz Weisung der Aufsichtsbehörde, die bei der Stadtgemeinde bestehenden jüdischen Stiftungen aufzuheben, diese Stiftungen bestehen lassen. Er hat lediglich, um der Weisung äußerlich zu genügen, den Gemeinderatsbeschluss fassen lassen, ihn jedoch nicht ausgeführt. Die Stiftungen bestehen bis zum heutigen Tag dem Namen und Betrag nach unverändert weiter.
Beweis: Äußerung des Stadtpflegers Pflüger, Niederstetten, Anlage 20.
e.) Für den mit einer Jüdin verheirateten Architekten Otto Baumann in Niederstetten hat sich der Betroffene ebenfalls mehrfach nachdrücklich eingesetzt. Er hat den wiederholten Versuch verhindert, Baumann die Ausübung seines Berufes zu untersagen und sein Geschäft zu schließen. Er hat auch selbst Baumann nach wie vor zu Beratungen in Bausachen herangezogen und ihn mit Fertigung von Plänen usw. beauftragt, obwohl ihm dies verboten war. Ferner hat er Baumann im Herbst 1944 wohl vor dem KZ bewahrt, indem er den Eilerlass des Innenministeriums (Gestapo), wonach sich Baumann zum Abtransport zu einer bestimmten Zeit auf dem Bahnhof Bietigheim einzufinden hatte, dem Otto Baumann einfach nicht eröffnete. Er hat damit eine ganz erhebliche Verantwortung auf sich genommen. Der Landrat Dr. Wanner in Bad Mergentheim hat ihn jedoch damals gedeckt.
Beweis: Zeugnis des Landrats Dr. Wanner, Bad Mergentheim.
Auch die Ehefrau Baumann hat der Betroffene ständig in Schutz genommen.
Beweis: Äußerung des Josef Bergdolt, Niederstetten, Gendarmeriemeister a. D., Anlage 25.
f.) Beim Abtransport der Juden aus Niederstetten hat der Betroffene entgegen den Anweisungen der Gestapo dafür gesorgt, dass ihr Gepäck nicht kontrolliert wurde und das notwendige Gemeinschaftsgerät mitgenommen werden konnte. Der Fa. Dill, Niederstetten erteilte er die schriftliche Weisung, den Juden jedes vorhandene Gerät, das benötigt wurde, abzugeben. Er war bemüht, ihnen ihr Los so gut wie möglich zu erleichtern. Um Belästigungen zu verhindern, hat er sie auf Bitte des Vorstehers der jüdischen Gemeinde gemeinschaftlich mit Gendarmeriemeister Bergdolt zur Bahn begleitet. Das Gepäck, das die Ausgewiesenen nicht tragen konnten, hat er hilfsbereit nachführen lassen. Der jüdische Gemeindevorsteher Braun hat sich beim Betroffenen ausdrücklich bedankt und ihm anerkannt, dass er die Juden menschlich behandelt habe, sie hätten jederzeit mit ihren Anliegen zu ihm kommen dürfen.
Beweis: Äußerung des Georg Linder und der Helene Streitberger, Anlage 23.
Äußerung des Leonhard Hagelstein, Anlage 26.
Zur damaligen Zeit gehörte schon einiger Mut dazu, für die Juden in der Weise einzutreten, wie es der Betroffene als Bürgermeister getan hat.
4. Auch den Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeitern gegenüber hat er sich menschlich und hilfsbereit erwiesen. Dem Ansinnen, Arbeitsunwillige prügeln und einsperren zu lassen, hat er sich entschieden widersetzt und hat die Schwierigkeiten durch gütliches Einwirken behoben. Im Kriegsgefangenenlager hat er stets nach dem Rechten gesehen, so dass es im ganzen Kreis als eines der besten Lager galt.
Beweis: Zeugnis des Stadon Stanislaw, jetzt in Ingolstadt, Friedenskaserne, Anlage 27.
Zeugnis des ehem. franz. Kriegsgefangenen Philipp Vennin, Paris, Anlage 28.
Zeugnis des Josef Bergdolt, Anlage 25.
Hier sei auch erwähnt, dass der Betroffene die englische Staatsangehörige Frieda Unger mit ihren zwei Kindern, die sich bei Kriegsausbruch in Niederstetten befand und nicht mehr nach England zurückkehren konnte, in Schutz genommen und vor Internierung bewahrt hat. Die Zeugin bestätigt ihm, dass er nur das Rechte und Gute gewollt hat und frei von Hass und Terror gewesen ist.
Vgl. Zeugnis der Frieda Unger, Ilford, England, Anlage 29.
5. Für die Haltung des Betroffenen ist auch noch folgender Vorfall bezeichnend:
Als am 14. 10. 1943 nach dem amerikanischen Fliegerangriff auf Schweinfurt mehrere Flieger abgeschossener Maschinen als Kriegsgefangene im Rathaus Niederstetten eingeliefert wurden, hat der Betroffene persönlich sofort für Verpflegung und ärztl. Betreuung der Amerikaner gesorgt. Unbeirrt von gehässigen Zurufen der vor dem Rathaus zusammengelaufenen Menge hat der Betroffene selbst die Verpflegung vom Gasthaus "Zur Post" ins gegenüberliegende Rathaus hinübergetragen.
Vgl. Zeugnis der Rosa Gerlinger, Niederstetten, Anlage 30.
Zeugnis des Dr. med. Heller, Niederstetten, Anlage 31.
Zeugnis des Josef Bergdolt, Anlage 25.
6. In den Tagen des Zusammenbruchs wäre der Betroffene wegen seiner Widersetzlichkeit gegen Parteibefehle an den Volkssturm beinahe auch ein Opfer der wahnsinnigen Nazis geworden. Er hat dem Volkssturm Niederstetten und den anderen Volkssturmeinheiten, die den Befehl erhalten hatten, nach Schwäb. Gmünd abzumarschieren, den Rat gegeben, an Ort und Stelle zu bleiben und dem Befehl nicht Folge zu leisten. Die Kreisleitung, die in jenen Tagen noch in der Gegend saß, hat hiervon erfahren und angekündigt, den Betroffenen durch ein Standgericht aufhängen zu lassen. Zu dieser unmittelbar drohenden Aktion kam es nur deshalb nicht mehr, weil Niederstetten in der entsprechenden Nacht vom 5. auf den 6. April 1945 beschossen wurde und die Kreisleitung sich daher in Richtung auf Rothenburg verzog. Kennzeichnend für die damalige Situation ist die Tatsache, das bereits das Gerücht umging, der Betroffene sei erschossen bzw. aufgehängt worden.
Beweis: Zeugnis des Karl Balbach, Rinderfeld, Anlage 32.
Zeugnis des Hauptlehrers Gottlob Frank, Rinderfeld, Anlage 33.
Zeugnis des Hans Jäger, Weikersheim, Anlage 34.
Vgl. ferner die Spruchkammerakten des Gewerbeoberlehrers Eugen Siglen, Niederstetten.
Wenn es also noch besonderer Umstände im Sinne des Art. 11 bedurfte, so wären sie nach dem Vorstehenden reichlich und mit durchschlagender Wirkung gegeben. In Wirklichkeit beweist das geschilderte Verhalten des Betroffenen nur noch vollends, dass er insgesamt den Nationalsozialismus nur unwesentlich unterstützt hat und insofern von vornherein als Mitläufer zu bewerten ist. Auch auf Art. 17 VIII in der Fassung des zweiten Änderungsgesetzes vom 25. 3. 1948 braucht meines Erachtens nicht abgestellt zu werden, obwohl auch dessen Voraussetzungen vorliegen würden. (vgl. das Folgende)
IV.
Bei der Beurteilung des Betroffenen sind insbesondere bei der Bemessung des Sühnebetrages bitte ich aber auch noch folgende Tatsachen zu berücksichtigen:
Der Betroffene ist seit Ende April 1945 außer Dienst gestellt. Er hat sich jedoch auf Ansuchen des neuen Bürgermeisters Huss ohne Zögern bereit erklärt, als Ratsschreiber weiter zu arbeiten. Diese Tätigkeit verrichtete er bis zum 1. 10. 1945 ohne jedes Entgelt. Er stellte sich ferner uneigennützig zur Neuanlegung der durch Kriegseinwirkung zerstörten Gemeindeakten und zur Versorgung der Bevölkerung mit den notwendigsten Bedarfsartikeln zur Verfügung, die er von auswärts beschaffte. Daneben besorgte er noch die Rechnungsgeschäfte einer großen Anzahl von Gemeinden des Kreises ebenfalls unentgeltlich.
Vgl. das Dienstzeugnis des Landratsamts Bad Mergentheim, Anlage 1.
An der Wiederherstellung der vernichteten Akten von Niederstetten und von 9 weiteren Kreisgemeinden hat der Betroffene auch nach seiner Abberufung als Ratsschreiber noch bis zum 9. 12. 1946 weitergearbeitet. Die Zahl der Gemeinden, für die er die Verwaltungsaktuaritätsgeschäfte ebenfalls unentgeltlich besorgte, betrug 17. So hat der Betroffene insgesamt 15 Monate Arbeit im öffentlichen Dienst geleistet, für die er auch bei auswärtiger Beschäftigung keine Entschädigung verlangte und erhielt. In Anbetracht dieser Umstände empfindet er die Art und Weise, wie sich Bürgermeister Huss, dem er derart beigestanden hat, gegen ihn auslässt, mit Recht als bitteren Undank.
Nach Abschluss der Verwaltungsgeschäfte hat sich der Betroffene als Holzhauer gemeldet. Nach Beendigung dieser Tätigkeit war er im Frühjahr 1947 auf Wunsch des Forstamts einige Zeit mit Pflanzensetzen beschäftigt, hierauf arbeitete er zwei Monate als Hilfsarbeiter in der Hofgärtnerei Niederstetten. Ab Sommer 1947 war er zur Durchführung von Bodennutzungserhebungen zur Ordnung von Registraturen und Standesamtsakten beigezogen.
Dieses gesamte Verhalten des Betroffenen sollte auch im vorliegenden Verfahren gebührende Anerkennung finden.
Als Zeugen für die mündliche Verhandlung beantrage ich zu laden:
1. Bürgermeister Daiber, Adelberg,
2. Hermann herb, Adelberg,
3. Johann Linder, Niederstetten,
4. Otto Osiander, Niederstetten,
5. Dr. Wanner, Landrat a. D., Bad Mergentheim,
6. Stadtpfleger Pflüger, Niederstetten,
7. Bürgermeister Meder, Herrenzimmern
8. Gemeinderat Karl Melber, Niederstetten,
9. Georg Linder, Niederstetten,
10. Helene Streitberger, Niederstetten,
11. Willi Färber, Niederstetten, Mechanikermeister
12. Amtsbote Stapf, Niederstetten,
13. Josef Bergdolt, Gendarmeriemeister a. D, Niederstetten,
14. Rösle Gerlinger, Niederstetten,
15. Otto Baumann, Niederstetten,
16. Karl Balbach, Rinderfeld,
17. Hans Jäger, Weikersheim.

Dr. Thierley Rechtsanwalt

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