Öffentliche Sitzung der Spruchkammer Mergentheim
Aktenzeichen: 33/32/1257
Protokoll
der öffentlichen Sitzung am 9. 1. 1948
Gegenwärtig:
1. Dr. Martha Schneider, Bad Mergentheim als Vorsitzender
2. Fritz Bott, Mergentheim, Alois Matthes, Bad Mergentheim als Beisitzer
3. Theodor Kuhnert als öffentlicher Kläger
4. K. Streng als Protokollführerin
Zur mündlichen Verhandlung in dem Verfahren gegen Karl Hachtel, Hausmeister, geb. 1. 2. 1893, Niederstetten, Bahnhofstraße 19 erschien bei Aufruf der Sache der Betroffene persönlich sowie sein Verteidiger R. A Ohliger, Tauberbischofsheim
Die vorgeladenen Zeugen wurden aufgerufen, mit dem Gegenstand des Verfahrens und der Person des Betroffenen bekannt gemacht, zur Wahrheitsangabe ermahnt und darauf hingewiesen, dass sie ihre Aussage auf Anordnung der Kammer zu behalten haben. Hierbei wurden sie über die Bedeutung des Eides und die strafrechtlichen Folgen einer unter Eid unrichtig oder unvollständig erstatteten Aussage belehrt und darauf aufmerksam gemacht, dass der Ei sich auch auf die Beantwortung von Fragen über ihre Person und sonstiger Fragen bezieht, Werner das unbeeidigte Aussage die gleichen strafrechtlichen Folgen nach sich zieht.
Die Zeugen wurden sodann aus dem Sitzungssaal entlassen. Über die persönlichen Verhältnisse vernommen, erklärte der Betroffene
Personalbeschreibung siehe umseitig.
Ich beschäftige mich zur Zeit mit Heimarbeit und verdiene wöchentlich 10.– bis 12.– RM. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 21 u. 27 Jahren.
2400.– RM habe ich nicht verdient, höchstens RM 2280.–.
Mein jetziges Vermögen beträgt 100.–. Ich besitze ein Haus im Einheitswert von 1880.– RM.
Interniert war ich vom 17. 4. 1945 bis 9. 1. 1947.
Hierauf wurde die Klageschrift von 13. 10. 1947 v. öffentlichen Kläger verlesen.
Der Betroffene wurde befragt, ob er etwas auf die Klage erwidern wolle.
Er erklärte:
Durch die lange Internierungshaft hat mein Gedächtnis gelitten. Die mir in der Klageschrift vorgeworfenen Taten sind mir absolut unbekannt.
Ich war in den Jahren 1928/1929 und 1930/31 arbeitslos. In dieser Zeit war ich viel mit Dr. Eiser [Eyßer] zusammen, der mich aufforderte, in die Partei einzutreten, damit die Sache vorwärts getrieben werde und die Partei zur Macht käme, damit man wieder Arbeit bekäme. Auf das hin trat ich in die Partei ein.
In der Kampfzeit bin ich Dr. Eiser [Eyßer] zur Hand gegangen. Ich schaffte in seinem Garten, trug Zeitungen aus, bestellte die Leute zu Versammlungen in die Turnhalle.
Nachdem ich bei der Gemeinde beschäftigt war, sagte der Ortsgruppenleiter, ich solle den Zellenleiter machen. Eine Ernennung dazu habe ich nicht bekommen. Als Zellenleiter musste ich die Beitragsmarken vom Kassenleiter holen und den Blockleitern aushändigen. Das Geld dafür lieferte ich wieder den Kassenleiter ab. Das war meine Haupttätigkeit. Ich war immer ein wenig der Diener der Ortsgruppe. Mit kleineren Sachen sind die Leute immer zu mir gekommen.
Als der damalige Kassenleiter eingezogen wurde, sagte der Ortsgruppenleiter zu mir, ich solle das mitübernehmen. Ich lehnte dies mit der Begründung ab, dass ich nicht die nötige Bildung dazu hätte. Der Ortsgruppenleiter sagte, ich brauche nur die Unterschrift zu machen, die Buchführung macht er. Als Kassenleiter hatte ich nichts anderes zu tun als das Geld einzutragen, das die Zellenleiter brachten. Verfügungsrecht hatte ich nicht.
Stellvertretender Ortsobmann der DAF bin ich geworden, als der damalige Ortsobmann einrücken musste. Der Ortsgruppenleiter sagte, ich solle das Amt übernehmen, bis Emmert wieder kommt. Als solcher musste ich die von der Kreisamtsverwaltung in Mergentheim herausgegebenen Amtsblätter und Verfügungen den Betriebsführern zum Lesen aushändigen.
Die zehn-jährige Verdienstauszeichnung der NSDAP bekommt jeder automatisch nach 10-jähriger Mitgliedschaft. Wenn einer sich etwas zu Schulden kommen liess, dann hat er sie vielleicht nicht bekommen. Die Beschuldigung "arbeitsscheuer Mensch" weise ich ganz entschieden zurück.
Ich habe nie Spitzeldienste getrieben und auch nie Juden verfolgt.
Auf Antrag des öffentlichen Klägers wurde die im Verhandlungsraum anwesende Ehefrau des Betroffenen aufgefordert, den Verhandlungsraum zu verlassen.
Es wurde nun mehr in die Beweisaufnahme eingetreten:
1. Zeuge: Gehringer, erklärte zur Person:
Ich bin 32 Jahre alt mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen von Kind auf. Über sein Verhalten während der Zeit der NSDAP mir gegenüber kann ich nichts Nachteiliges sagen. Als ich mir die Tochter des Betroffenen als Mädchen gedungen habe, fragte diese mich, ob sie immer in den Dienst gehen könne. Ich sagte, wenn es möglich ist, sie sei in einem Geschäftshaushalt tätig. Als wir eines Tages gewaschen haben, sagte die Tochter des Betroffenen, sie müsse noch in den Dienst gehen. Es hat eine Auseinandersetzung gegeben, weil sie dies so spät sagte. Ich weiß nicht, ob das Mädchen noch in den Dienst gegangen ist oder nach Hause. Daraufhin musste der Betroffene an unserem Haus vorbeigegangen sein und beleidigende Aussagen gemacht haben. Die Aussage selbst habe ich nicht gehört. Mein toter Mann hat die Sache mit dem Betroffenen auf dem Rathaus ausgemacht. Ich kann die Worte, der Betroffene gebrauchte, nicht mehr genau sagen. Er muss gesagt haben: Geh hinaus zu dieser Gesellschaft, lass dich dort sehen. Damit meinte er uns persönlich. Der Betroffene musste auf dem Rathaus abbitten, dass er uns nicht gemeint habe. Bei der Abbitte war ich nicht dabei. Ich habe auch nicht den Aushang gelesen, in dem die Abbitte stand.
Auf Frage:
Mich hat der Betroffene nicht für die Partei geworben.
Soviel mir bekannt ist, hatte die Auseinandersetzung auf dem Rathaus nichts mit der Partei zu tun. Mein Mann war in der Partei und führte den Reitersturm. Mein Mann sagte, er kann sich das vom Betroffenen nicht gefallen lassen.
Ich sagte dem Ermittler, dass ich für meine Angaben nicht gerade stehen kann.
2. Zeuge: Karl Thalheimer, erklärte zur Person:
Ich bin 52 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Während des Krieges habe ich bei Baumann Material abgeladen, als der Betroffene zu seinem Fenster herausrief: Ihr Judenknechte, dem Halbjuden (damit meinte er Baumann) legen wir das Handwerk noch, und die Saujüdin bringen wir auch noch hin, wo sie hingehört.
Von mir wollte der Betroffene nichts, weil ich nicht in der Partei war. Ich kann nicht sagen, dass er die Leute bespitzelt hat.
Betroffener:
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich die Äußerung getan habe, die der Zeuge eben geschildert hat.
Zeuge Thalheimer:
Der Betroffene hat das gesagt, da waren noch mehr Leute dabei. Der Schuster Wilhelm Friedrich war auch dabei.
3. Zeuge: Wilhelm Friedrich, erklärte zur Person:
Ich bin 68 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Der Betroffene war schon ein bischen nationalsozialistisch eingestellt. Ich habe das durch seine Äußerungen gemerkt. An die Äußerung kann ich mich nicht mehr entsinnen. Ich war niemals politisch tätig. Als Frau Baumann einmal nachts um ½ 10 Uhr ihren Garten düngte, hat er sie Judenmensch, Saumensch geheißen und geäußert, Dich bringe ich noch hin, wo du hingehörst. Daran erinnere ich mich noch genau, es war im Hochsommer im Jahre 1943 oder 1944.
Einmal hat der Betroffene Max Braun vom Trottoir heruntergejagt und dabei zu ihm gesagt: Hat der Jude auch etwas auf dem Trottoir zu tun. Ich habe das selbst gesehen.
Ich war direkt nie dabei, wenn jemand, der bei Braun arbeitete, von dem Betroffenen belästigt wurde.
Die Sache Thalheimer hat sich im Hof von Baumann abgespielt.
4. Zeuge: Rosa Gerlinger, erklärte zur Person:
Ich bin 65 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich habe in Niederstetten den Gasthof zur Post gehabt. Der Betroffene war vor langer Zeit mein Hausknecht. Als Gast ist er in den letzten Jahren einige Male gekommen. Politische Reden hat er nicht gehalten, wenn er gekommen ist.
Die Sache mit dem Fotografieren ist eine Verwechslung. Das machte der Pfannkuch von Oberstetten. Als ich vom Rathaus nach Hause kam, sagte mir meine Nichte, das es der Pfannkuch war. Ich konnte mich nicht mehr erinnern.
Von einem Kunden, der schon 40 Jahre bei mir übernachtete, trug ich einmal die Post zu Kahn. Der Betroffene hat mich dabei gesehen und gerufen: Lumpenbande, Saubande, wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter. Aber das genau verstanden und mich auch nicht in der Person geirrt. Ich bin mir der Sache ganz sicher.
Es stimmt auch, dass der Betroffene öffentlich vor mir ausgespuckt hat. Wir begegneten uns auf der Strasse. Der Betroffene hat kein Wort dazu gesagt, als er vor mir ausspuckte.
Betroffener:
Ich kann mich der Sache absolut nicht erinnern. Ich habe selbst bei Frau Kahn gekauft. Diese Behauptung stimmt mit meiner Auffassung nicht überein.
5. Zeuge: Marie Dinkel, Niederstetten, erklärte zur Person:
Ich bin 47 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich bin seit 1920 in Niederstetten.
Der Betroffene war ein überzeugter Anhänger der Partei. Er war von den Juden sehr gefürchtet. Ich kann das bestimmt sagen. Ob er bei der Judenschlägerei dabei war, kann ich nicht sagen.
An mich ist er nie herangetreten. Er hat bestimmt Propaganda gemacht.
Wenn sich Frau Braun mit Frau Nörr über die Straße unterhalten hat und der Betroffene kam dazu, dann schloss Frau Braun das Fenster und sagte, der Hachtel kommt.
Ich habe keine Angst vor dem Betroffenen gehabt, mir hat er nichts zu leide getan.
Mit der jüdischen Familie Braun, bei der ich war, hat der Betroffene nichts zu schaffen gehabt. Als die Juden 1933 verschlagen wurden, war Pfannkuch von Oberstetten dabei, als die Juden abgeholt wurden. Ich kann mich nicht entsinnen, dass der Betroffene dabei war.
Die Juden hatten Angst vor dem Betroffenen, weil er ein alter Pg. war. Ich habe nie gesehen, dass er gegen Juden aufgetreten ist. Ich war und bin überzeugt, dass er ein ganz überzeugter Nazi war. Beim Einkauf in jüdischen Geschäften wurde ich nie von ihm belästigt.
Meine Angabe vor dem Ermittler, dass die Leute beim Einkauf in jüdischen Geschäften belästigt wurden, bezog sich auf die Frau des Betroffenen.
Auf Frage:
Ich war bei der jüdischen Familie Braun bis zu deren Weggang beschäftigt.
Geachtet war der Betroffene bei den Juden nicht.
Brauns haben sich nie geäussert, dass sich der Betroffene abfällig gegen sie benommen hätte.
Betroffener:
Ich war Amtsdiener in Niederstetten. Es hat dort nie viele Juden gegeben. Ich habe nie und nirgends gehört, dass einer gesagt hat, dass ich ihn beleidigt hätte.
Ich verleugne nicht, dass ich Nazi war.
6. Zeuge: Karl Keim, erklärte zur Person:
Ich bin 77 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Der Betroffene hat mich zweimal belästigt. Einmal, als ich Abort leerte, sagte er zu mir, ob ich nicht wüsste, dass man morgens um 7 Uhr damit aufhören müsste. Ich sagte, ich hätte nur noch 1 Eimer wegzubringen. Darauf sagte der Betroffene, wenn ich den noch hole und es ist 7 Uhr vorbei, dann lässt er mich abführen. Das war bei Hermann Braun.
Als ich bei Max Braun einmal Holz spaltete, kam der Betroffene und fragte mich, ob ich nicht wüsste, dass man bei Juden kein Holzspalten dürfe, man müsse mich einmal fortbringen. Ich fragte den Landjäger, der gerade vorbei ging, ob ich das Holz spalten dürfe. Dieser gestattete es mir.
Ich weiß nicht, wie sich der Betroffene in der Partei verhalten hat. Ich hatte kein Interesse dafür, ich ging meine Arbeit nach.
Betroffener:
Als ich morgens die Schulfenster öffnete, drang der Geruch des Abortleerens herein. Ich sagte zu dem Zeugen, dass das nicht geht. Der andere Fall ist mir nicht bekannt. Ich habe Landjäger Bergdolt deswegen gefragt. Dieser kann sich auch nicht erinnern.
7. Zeuge: Gottlob Thürauf, erklärte zur Person:
Ich bin 52 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Der Betroffene war einer unserer besten Nationalsozialisten, einer der eifrigsten. Er hat die Leute, die noch bei Juden kauften angehalten und mit Volks- und Vaterlandsverräter beschimpft. Als Freunde von mir aus dem jüdischen Geschäft Kahn kamen, hielt sie der Betroffene an, ob sie sich nicht schämen würden, bei Juden zu kaufen.
Ein andermal hat der Betroffene Frau Baumann eine Saujüdin geheißen. Er hat vielleicht nicht ganz unrecht damit gehabt, Frau Baumann hatte schlecht verdunkelt.
Ob das oft vorgekommen ist, dass der Betroffene Frau Baumann Saujüdin schimpfte, das weiss ich nicht.
Ich bin dem Betroffenen ausgewichen, weil er Pg. War und ich mit der Partei nichts zu tun haben wollte. Er war ein eifriges Mitglied. Man merkte dies an seinem Benehmen. Er grüsste dauernd mit "Heil Hitler". Ob er für die Partei geworben hat, kann ich nicht sagen. Ich kann auch darüber keine Auskunft geben, ob er die Leute bespitzelt hat. Mich persönlich hat der Betroffene nie belästigt. Dass der Betroffene gesagt hat, wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter, habe ich in zwei Fällen selbst gehört.
Betroffener:
Daran kann ich mich nicht erinnern.
8. Zeuge: Mina Baumann, erklärte zur Person:
Ich bin 56 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Der Betroffene war mein nächster Nachbar. Er hat mich geärgert, wo er konnte. Jede Arbeit und jeder Schritt, den ich getan habe, hat ihm nicht gepasst.
Als ich einmal abends meinen Vorgarten düngte warf er mir eine Portion Grobheiten an den Kopf. Er werde dafür sorgen, dass ich ins KZ. käme. Lauter Ausdrücke wie Judensau, Saujüdin, Du Judenmensch musste ich hören.
Ging ich Sonntags spazieren und der Betroffene begegnete mir, so musste ich hören: Die Saujüdin kommt hoffentlich bald nach Palästina und er kommt nach Russland.
Der Betroffene stand mit beiden Füßen und mit einem eingeprägten Rassenhass auf dem Boden des Nationalsozialismus. Das kann ich jederzeit beschwören.
Im Jahre 1939 holte er unseren Radio, obwohl er gar nicht berechtigt dazu war.
Als 2 Jungen kamen und den Radio abholen wollten, gab ihn mein Mann nicht her. Dann kam der Betroffene und sagte im Kommandoton, er müsse sofort unseren Radio haben. Mein Mann sagte, wir geben den Radio eben her, wir werden ihn morgen schon wieder bekommen. Am nächsten Tag erkundigen wir uns bei Bekannten, nirgends wurde ein Radio geholt, nur bei uns. Den Juden wurde ihr Radio geholt. Ich lebe in Mischehe.
Ich bin nun zu Bergdolt gegangen und habe diesen um Rat gefragt, was ich machen soll. Er sagte, ich solle eine Eingabe an das Landratsamt in Mergentheim machen, die Sache ginge mich nicht an, nachdem mein Mann Arier sei. Ich habe eine Eingabe gemacht. Vom Landratsamt wurde die Rückgabe unseres Radios sofort genehmigt. Am Bahnhof war ein Wachlokal, dorthin wurde unserer unser Radio zur Benutzung gegeben.
Nach Bl. 67 d. A.,

[Bl. 67]
Bescheinigung
Frau Nina Baumann wird bescheinigt, dass ihr Anfang September 1939 ihr Radioapparat durch Beauftragte der Ortsgruppe Niederstetten abgenommen worden ist. Meines Wissens kam Frau Baumann am anderen Tag zu mir und hat sich darüber beschwert, dass Karl Hachtel von hier ihren Radio geholt habe. So viel sich der Unterz. noch erinnern kann, wurde dieser Radioapparat auf Grund einer Beschwerde beim Landratsamt Mergentheim einige Tage später wieder zurückgegeben. Laut Weisung des Gend. Kreis Mergentheim vom 22. 9. 1939 wurden dann am 23. 9 1939 bei sämtlichen in Niederstetten wohnhaften Volljuden die Radioapparate durch den Unterz. abgenommen. Die Abnahme der Radioapparate bei den Juden in Niederstetten, erfolgte wie schon erwähnt durch Beauftragte der Ortsgruppe Niederstetten, Anfang September 1939.
Bei der Abnahme der Radiogeräte am 23. 9. 39 durch den Unterz. wurde der Apparat bei Frau Baumann nicht abgenommen.
Niederstetten, den 8. Januar 1948
Josef Bergdolt, ehemaliger Meister d. Landespolizei.

das auszugsweise verlesen wird, ist das Gerät nach einigen Tagen wieder zurückgegeben worden.
Wo man ging, wurde man von diesen Leuten beschimpft, das kann ich mit gutem Gewissen sagen. Auch mein Mann wurde beschimpft. Wir wurden schon vor 1933 beschimpft. Der Betroffene war ein ganz überzeugter Nazi schon vor 1933.
Folgenden Vorfall hat mir Frau Kahn selbst erzählt.
Als im Jahre 1941 bekannt wurde, dass die Juden deportiert werden sollten, haben die Juden ihren guten Bekannten etwas geschenkt. Eines Abends wollte Frau Kahn einer bekannten Familie einen Teppich schenken. Ich kann nicht behaupten, dass der Betroffene Frau Kahn abgepasst hat. Sie hat ihn aber gesehen. Er ist ihr nachgelaufen, wo sie hinging. Frau Kahn machte einen Umweg und konnte nicht in das Haus, wo sie hinwollte. Sie wusste keinen anderen Ausweg mehr und ging mit dem Teppich in ein anderes Judenhaus, damit sie die Leute nicht in Verlegenheit bringt, denen sie den Teppich schenken wollte.
Als ich einmal mit meiner Nachbarin, Frau Friedrich, im Garten war und diese mir erzählte, dass sie von ihren beiden Söhnen, die im Felde standen, nichts mehr gehört habe, kam der Betroffene dazu und rief: der Krieg kann nicht lange genug dauern.
Ich habe den Fall Friedrich selbst mitangehört, das war in meiner Gegenwart.
Auf Frage:
Ich habe den Betroffenen sehr viel in Uniform gesehen. Er war Fahnenträger und ist in der 1. Reihe mitmarschiert.
Er ist nie ohne Parteiabzeichen gegangen.
Er hat alles ausspioniert. Ich durfte mich bald nicht mehr an meinen eigenen Fenstern sehen lassen.
Ich habe den Betroffenen selbst mit der Fahne bei Umzügen in Niederstetten gesehen.
Betroffener:
Einmal habe ich die Fahne getragen, und zwar bei der Beerdigung von Dr. Eiser [Eyßer].
9. Zeuge: Karl Leirer [recte: Leyrer], erklärte zur Person:
Ich bin 52 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen von Niederstetten her. Ich war nicht Pg. und in keiner Gliederung. Ich weiss nicht, ob sich der Betroffene in der Partei betätigt hat. Wenn ich mit ihm zusammen war, hat er von Politik nicht geredet. Ich kann nicht sagen, dass er sich gegen die Juden gehässig gezeigt hat. Ich habe Sonntags aushilfsweise bei Baumann ausgeladen. Ich wurde nie belästigt deswegen. Ich war auch nie dabei, wenn andere belästigt wurden. Ich kann nicht sagen, dass der Betroffene Leute bespitzelt hat.
10. Zeuge: Otto Jäger, Niederstetten, erklärte zur Person:
Ich bin 47 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen von Niederstetten her. Ich habe mit dem Betroffenen viel zusammengearbeitet. Ich war weder in der Partei noch in einer ihrer Gliederungen. Wir haben sehr viel über Politik gesprochen. Der Betroffene hat gesehen, dass er bei mir nichts hinausführt. Er hat keinen Versuch gemacht, mich für die Partei zu gewinnen. Ich habe viel bei Juden gearbeitet und gekauft. Ich habe in der Synagoge Feuer gemacht. Das hat der Betroffene gesehen, hat mich aber nicht belästigt.
Ich kann nicht sagen, dass er andere Leute, die bei Juden gekauft haben, zur Rede gestellt hat.
Ich habe mein Material 1939 alles bei Baumann gekauft und sogar zu dem Betroffenen gesagt, dass Frau Baumann mir die liebste Geschäftsfrau von Niederstetten sei und dass es mir gleich sei, ob er und seine Frau aufpasst oder nicht. Der Betroffene sagte, das geht ihn überhaupt nichts an. Der Betroffene wohnte in der Nachbarschaft von Baumann. Ich genierte mich nicht.
Auf Frage:
Weil mir die Leute gesagt haben, der Hachtel passt auf, wer bei Baumann kauft, darum sagte ich zu ihm: Ich geniere mich nicht, auch wenn du oder deine Frau aufpasst, ich kaufe trotzdem bei Baumann.
11. Zeuge: Fritz Löhr [recte: Lehr], erklärte zur Person:
Ich bin 46 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Ich habe von 1933 -1934 mit dem Betroffenen zusammengearbeitet beim Bau des neuen Schulhauses, indem er nachher Hausmeister war. Er hat früher auch beim Bau gearbeitet. Ich habe in jüdischen Geschäften gekauft. Der Betroffene hat mich deswegen niemals belästigt. Wir haben von Politik nicht gesprochen. Ich war nicht Pg. und habe mich um die Sache nicht gekümmert.
Bei Parteiumzügen ist der Betroffene in Uniform mitgelaufen. Es ist mir vorgekommen, wie wenn er der Vereinsdiener gewesen wäre. Ich denke schon, dass er Anhänger der Partei war.
Ich weiss nicht, dass der Betroffene Fahnenträger war, ich habe das nicht beobachtet. Ich weiss nicht, wer Fahnenträger war. Der Betroffene hat mich niemals für die Partei werben wollen. Er hat mich nie mit Anzeigen bedroht. Er war kameradschaftlich zu mir.
Ich habe 7 Jahre in seiner Nachbarschaft gewohnt und nie gehört, dass er gehässig gegen die Juden war.
12. Zeuge: Johann Remi, Niederstetten, erklärte zur Person:
Ich bin 38 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich war ausländischer Zivilarbeiter in Niederstetten. Ich hatte mit dem Betroffenen nichts zu tun. Ich war in einem Lager untergebracht, das der Betroffene betreute. Der Betroffene hatte die Aufsicht. Er sorgte für alles, Essen u. Trinken usw. Er war gut zu uns.
Der Betroffene hat alles getan, was ihm möglich war, er hat auch für Rauchwaren gesorgt. Wir konnten auch in die Kirche gehen und hatten Gelegenheit, Filme zu sehen.
13. Zeuge: Ernst Neubert, Niederstetten, erklärte zur Person:
Ich bin 42 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Der Betroffene und ich haben zusammen bei der Firma Jung gearbeitet. Ich weiß, dass er schon vor 1933 bei der Partei war. Über Politik wurde bei der Arbeit nicht gesprochen. Mir ist nicht bekannt, wie sich der Betroffene den Juden gegenüber verhalten hat.
Der Betroffene war am 25. 3. 1933, als die Judenaktion war, mit mir auf dem Holzplatz. Wir haben zusammen Fichten abgeschnitten. Er war immer da.
14. Zeuge: Hermann Ziegler, erklärt zur Person:
Ich bin 50 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich habe mit dem Betroffenen bei der Firma Jung gearbeitet.
Ich erinnere mich noch, dass der Betroffene an dem die Judenaktion in Niederstetten war, bei uns gearbeitet hat. Ich kann mich nicht genau erinnern, wann wir angefangen haben zu arbeiten. Was wir über die Judenaktion gesprochen haben, weiss ich heute nicht mehr. Während der Arbeitszeit wurde nie über Politik gesprochen. Ich war an der Maschine beschäftigt und der Betroffene auf dem Holzplatz. Ob der Betroffene Auseinandersetzungen mit Juden gehabt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Es wurde manchmal darüber gesprochen, man kann sich aber kein Urteil bilden von dem, was man nicht gesehen hat.
Der Vert[eidiger]. verlas Bl. 60 [Eidesstattliche Erklärung Karl Waldmann], 58 [Bestätigung Gottlob Keim], 57 [Bestätigung Johann Klingert], 51 [Bestätigung Bergdolt], 50 [Schreiben Karl Fetzer] u. 49 [Bestätigung Margarete Weiss] d. A.
Beschlossen u. verkündet:
Antrag des öffentlichen Klägers auf Vereidigung der Zeugen Baumann und Friedrich abzulehnen.
An der Glaubwürdigkeit, Richtigkeit u. Vollständigkeit der Aussage des Zeugen Friedrich hat die Kammer keinen Zweifel und hält deshalb seine Vereidigung nicht für erforderlich.
Die Zeugin Baumann steht verständlicherweise noch stark unter dem Eindruck der Belästigungen, denen sie als Jüdin durch den Betroffenen ausgesetzt war. Die Kammer hält aus diesem Grunde ihre Vereidigung nicht für angebracht, will damit aber nicht sagen, dass die Zeugin deshalb unglaubwürdig wäre.
Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks wurde der Betroffene befragt, ob er etwas zu erklären habe.
Der öffentliche Kläger und sodann der Betroffene – und der Rechtsbeistand – erhielten zu ihren Ausführungen das Wort.
Der öffentliche Kläger beantragte Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Hauptschuldigen, Einweisung in ein Arbeitslager auf die Dauer von 4 Jahren, Einziehung des vorhandenen Vermögens sowie Verhängung der Sühnemassnahmen des Art. 15 des Gesetzes.
Der Rechtsbeistand beantragte Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Minderbelasteten. Bei Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Belasteten bei Bemessung der Sühne Art. 19 des Gesetzes hinzuzuziehen, da der Betroffene zu 60% erwerbsbehindert ist und beinahe 2 Jahre im Internierungslager war.
Dem Betroffenen wurde Gelegenheit gegeben, sich als Letzter zu äußern.
Der Vorsitzende verkündete nach geheimer Beratung der Kammer durch Verlesung der Spruchformel, Mitteilung der Gründe und unter Anfügung der Rechtsmittelbelehrung folgenden
Spruch:
1. Der Betroffene wird in die Bewährungsgruppe (Minderbelastete) eingereiht.
2. Die Bewährungsfrist beträgt 12 Monate und beginnt mit der Rechtskraft dieses Spruches.
3. Der Betroffene hat einen einmaligen Sonderbeitrag von RM 500.– zu einem Wiedergutmachungsfonds zu leisten. Wenn dieser Betrag nicht beigetrieben werden kann, so tritt an die Stelle von je 50.– RM ein Tag Arbeitsleistung.
4. Ausserdem unterliegt der Betroffene während der Bewährungsfrist den Bestimmungen des Art. 16, Ziffer 4, 6 u. 7.
5. Die weiteren Folgen der Einreihung ergeben sich aus Art. 17 des Befreiungsgesetzes, der diesem Spruch als Anlage beigefügt ist.
6. Die Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene.
7. Streitwert: RM 2040.–
Dr. Schneider / Streng

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