() Niederstetten, 14. Nov. Eine recht ansehnliche Versammlung von Weingärtnern von hier und den umliegenden Ortschaften füllte gestern den Löwensaal. Zwei Momente hatten anziehend gewirkt. Erstens der bedeutsame Punkt der Tagesordnung, welcher sich auf die Gründung einer Weingärtnergenossenschaft bezog. Dann die erfreuliche Tatsache, daß nach langer Zeit wieder einmal Herr Oekonomierat Mährlen, Vorstand der Weinbauschule Weinsberg, in der Mitte der Weingärtner weilen und aus seinen reichen Erfahrungen schöpfen wollte. - Auch unser Oberamtsvorstand Herr Landrat Wöhrle bekundete sein Interesse durch seine Anwesenheit. – Herr Bürgermeister Schroth eröffnete und begrüßte die Versammlung, die Redner, die Gäste und erteilte dann Herrn Oekonomierat Mährlen das Wort. Herr Oekonomierat Mährlen machte ungefähr folgende Ausführungen: „In der Schädlingsbekämpfung stehe der Weingärtner nicht mehr so verlassen da, wie früher. Die Fortschritte der Chemie und Technik kommen ihm zu Gute, und wenn alle Erfahrungen auf diesem Gebiete angewandt werden, kann man von der Rebe auch heute noch schöne Ernten und gute Renten erzielen. Die Frage, ob es zweckmäßig sei, in Württemberg den Weinbau auszudehnen, bejahte der Redner. Der württ. Weinbau werde von anderen deutschen Weinbaugebieten beneidet, besonders deshalb, weil der Württemberger gewöhnt ist, seine im Lande gebauten Weine zu trinken und gut zu bezahlen. Württemberg erzielt daher auch die besten Durchschnittspreise. Die württ. Weine genügen mengenmäßig für das Land nicht, es muß daher eingeführt werden. Aus diesem Grunde brauchen wir keine Angst haben, daß unsere Anbaufläche zu groß ist. In Niederstetten und Oberstetten gebe es noch viele brachliegende Stücke, welche sich zur Anpflanzung eignen. Für den Weinbau scheinen ohnedies bessere Zeiten zu kommen. Es ist die Möglichkeit vorhanden, daß Amerika „naß” wird, die Süßmostbereitung erschließt weiteren Absatz und auch die Beschickung des Marktes mit deutschen Trauben trägt dazu bei. - Gegen 12 Genossenschaften im Jahre 1904 zählt Württemberg heute 45 Weinbaugenossenschaften. Ursprünglich standen Wirte und Handel ihnen feindlich gegenüber. Nach und nach hat sich das Vertrauen der Käufer gefestigt, weil das Publikum den Wert einer guten und sauberen Behandlung unter der Kelter schätzen lernte. Ein großer Vorteil in schlechten Jahren liegt darin, daß die Genossenschaften den Wein besser lagern und die günstigste Zeit zum Verkauf wahrnehmen können. Bei der Neuanlage empfahl der Redner die hier im Allgemeinen eingeführten Sorten und sprach ein Wort für die „Riesling Sylvaner, Müller Thurgau", welche er als schnellwüchsige, gute Ernsten bringende Rebe empfahl. Wichtig sei die züchterische Auswahl durch Bezeichnung der besten Bestockung. Für das Emporbringen junger Reben sei es wichtig, daß sie bis in den Herbst hinein (bis zu 12 Mal) gespritzt werden. - Die Meinung unserer Altvordern – je mehr Stöcke, desto mehr Wein - ist falsch. Es ist besser, die Stöcke sitzen weiter und die Sonne hat Zutritt. Nicht die Stockzahl bringt den Ertrag, sondern die Pflege. Die Pflege des Jungfeldes ist wichtig. Bei Verwendung von Torfmull muß dieser angefeuchtet werden. Der Kunstdüngung muß unbedingt Stalldüngung beigegeben werden. Am Schlusse seiner mit großem Beifall aufgenommenen Ausführungen, verlieh Herr Oekonomierat Mährlen der Hoffnung Ausdruck, daß die geplante Neugründung dem hiesigen Weinbau zum Segen gereichen möge. - Nach Worten des Dankes an Herrn Oekonomierat Mährlen, ging Herr Bürgermeister Schroth zum zweiten Teil der Tagesordnung über, Gründung der Weingärtnergenossenschaft. Die Gelegenheit, ein günstiges Objekt erwerben zu können, welches ohne zu große Kosten eingerichtet werden könne, mache diese zur Tagesfrage. Herr Bürgermeister Schroth begrüßte dann die Vertreter der umliegenden Orte und gab einen Ueberblick über die Vorgeschichte der Gründung. - Dann sprach Herr Dr. Glotz-Stuttgart, über die Kosten und Einrichtung einer Genossenschaft. Selbstverständlich müsse man sich darauf gefaßt machen, daß im Anfang manche Widerwärtigkeiten zu überstehen sind. Eine Genossenschaft habe auch nicht den Zweck, daß der Einzelne möglichst viel verdient, sondern, daß der Einzelne durch die Gesamtheit gehoben wird. Der Redner rechnet mit Einrichtungskosten von 50 000 RM. (einschl. Gebäude). Hierzu stellt die Zentralstelle ein Darlehen zu eineinhalb Prozent Zins im Betrage von 20 000 RM. zur Verfügung. 30 000 RM. wären anderwärts aufzunehmen. Es sei immer besser, die Rechnung im Voraus etwas ungünstiger anzunehmen. Es sei nötig, die Anteile nach der Größe der bebauten Fläche des einzelnen Mitgliedes einzuteilen, wobei auf das Ar 4,50 RM. Anteil kämen. Dieser Anteil brauche aber nicht auf einmal bezahlt werden, sondern würde in kleinen Beträgen nach und nach eingezogen, - Für das aufgenommene Kapital müs-se natürlich eine Sicherheit geleistet werden und diese liege in der Haftpflicht der Mitglieder. Damit kam der Redner zu der Frage der Form, in welcher die Genossenschaft gegründet wer-den solle. Von den 45 Genossenschaften in Württemberg sind 34 mit beschränkter Haftpflicht, 11 mit unbeschränkter Haftpflicht. Bei beschränkter Haftpflicht käme eine Summe von 9-12 RM. pro Ar in Betracht. Der Redner empfiehlt von seinem Standpunkt die „G, m. b. H." Für Verzinsung, Amortisation (Kapitalrückzahlung) und Betriebsabschreibungen wären im ersten Jahr RM. 7450.- erforderlich. Dieser Betrag würde von Jahr zu Jahr geringer wer-den und in absehbarer Feit wäre die Genossenschaft schuldenfrei. Die Kündigungsfrist der Mitglieder müsse ein Jahr sein. - Herr Dr. Klotz hatte seine Ausführungen durchaus nur auf das Sachliche eingestellt und gab klar und deutlich ein Bild von Rechten und Pflichten der Mitglieder und der verschiedenen Genossenschaftsformen. Lebhafter Beifall dankte ihm. - Nach dem Referat des Herrn Klotz kam die Gründung der „Weingärtnergenossenschaft Niederstetten m. u. H." zu stande. Die Wahlen ergaben: Vorstand: Bürgermeister Schroth, Rechner Bankfiilialvorstand Schuster. Damit hat sich ein wichtiger Vorgang in der Entwicklung unseres hiesigen Weinbaus vollzogen. Es muß gesagt werden, daß die Form der Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht in der Versammlung manche Bedenken entgegenstanden. Wir wollen aber hoffen, daß eine Haftpflicht nie in Frage komme und daß die neugegründete Genossenschaft allen Mitgliedern den erhofften Erfolg bringe.

() Niederstetten, 14. Nov. In seiner letzten Sitzung setzte der Gemeinderat den Durchschnittspreis für den neuen Wein auf 147 RM. per 300 Liter (württ. Eimer) fest.

(Vaterlandsfreund, Nr. 268, 15. 11. 1932)