( ) Niederstetten, 22. Jan. Im Löwensaale fand heute eine gutbesuchte Versammlung des Württ. Bauern- und Weingärtnerbundes statt, welche wohl als Auftakt zu den Landtagswahlen aufzufassen war. Referent war Herr Reichstagsabgeordneter Haag-Heilbronn. Herr Lagerhausverwalter Glaser eröffnete und begrüßte die Versammlung, welche er auch weiterhin mit größter Umsicht leitete. Herr Reichstagsabgeordneter Haag führte satzungemäß ungefähr folgendes aus: Wir leben in entscheidungsvoller Zeit, denn jeder weiß, daß es so nicht mehr weitergehen kann. In der Vorkriegszeit brachte die Reichsgründung eine ungeahnte Entwicklung. Die emporblühende deutsche Wirtschaft wurde Konkurrentin der Engländer und hat diese sogar auf ihren ureigensten Gebieten überflügelt. In führenden Kreisen der Politik und Wirtschaft hörte man, wir seien über unsere früheren Verhältnisse hinausgewachsen. Der Kaiser sagte: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“ und Pfarrer Neumann erklärte, wir müßten den Ackerbau den niederen Völkern überlassen. Es ist aber nicht so, als ob der Kaiser und seine Ratgeber auf den Krieg hingearbeitet hätten, man sprach vielmehr von einer friedlichen Eroberung der Welt. Aber unsere Gegner verfolgten Ziele, welche nur durch einen Krieg erreichbar waren. England wollte seinen Konkurrenten vernichten, Frankreich wollte Elsaß-Lothringen und Rußland wollte den Ausgang zu den südlichen Meeren. Diesen Existenzkampf hat das deutsche Volk 1914 erkannt. Aber wir waren nur kurze Zeit ein einiges Volk. Klassen- und Parteiinteressen hätten dann über die Volksinteressen gesiegt und so sei der Krieg verloren gemacht worden. Die größte Dummheit sei dann 1918 im November der Waffenstillstand gewesen, welchem zwei Tage später die Revolution gefolgt sei. Man hat uns dann Waffenstillstand und Frieden diktiert. Das deutsche Volk hatte nicht erkannt, was passiert war, es hat an bessere Zeiten, Friede, Arbeit und Brot geglaubt, Heute herrsche Unfriede und Unfreiheit innen und außen. Wir hatten aber die Rohstoffbasis der Kolonien, deutsches Land im Osten und Westen, 20 Milliarden Auslandsguthaben, die Handelsflotte, das Kali im Elsaß und die Mineite in Lothringen verloren. Dann kam die Inflation und damit der Verlust des angesammelten deutschen Volksvermögens. Die große Not der Wirtschaft rührt daher, daß kein eigenes Betriebskapital vorhanden ist. Die Sozialdemokratie erreichte ein politisches Ziel mit dem Sturz der Monarchie. Wenn aber die rechten Männer an der Spitze sind, könne sowohl die eine als auch die andere Regierungsform gut sein. Die Sozialdemokratie verfolgte aber auch ihre inneren Ziele wie z. B. die Vergesellschaftlichung der Produktion. Der Dawesplan brachte keine Ankurbelung der Wirtschaft. Freilich, Schulden konnten wir aufnehmen, aber auf die Dauer könne eine Familie nicht mehr verbrauchen als was sie verdiene. Dies gelte auch von Volk und Volkshaushalt. Das war aber in den letzten Jahren in Deutschland der Fall und jetzt sind wir am Ende, weil nichts mehr zu verpfänden ist. Nun kommen die Entscheidungen, ob so weitergewirtschaftet werden oder ob das Steuer herumgeworfen werden soll. Durch den verlorenen Wirtschaftskrieg sei Deutschland vom Weltmarkt verdrängt. Ueberall herrsche das Streben nach nationaler Volkspolitik, dazu gehöre: Erstens Selbsternährung, zweitens: Ausgebaute Industrie auf allen Gebieten mit Ausnahme der Luxusindustrie unter Ausnützung eigener Rohstoffe und Arbeitskräfte. Daher rühre die Absperrung der Welt gegen unsere Industrieerzeugnisse. Wir müßten daher selbst Binnenwirtschaft treiben und deren wichtigster Zweig sei die Landwirtschaft. Erste Voraussetzung für die Befreiung sei Aufbau der Landwirtschaft und Hebung der Bodenständigkeit. Zur Entscheidung stehe die Frage, ob Deutschland nationale oder internationale Politik treiben solle. Wir leben heute in der Zeit der erwachenden Nationen und überall sei diese Frage im nationalen Sinne gelöst. Wir müssen verlangen, daß unsere Vertreter in Genf oder sonstwo ebenso national handeln wie unsere Gegner. Die Arbeiter wären irregeführt worden, Die Verwaltungskosten des deutschen Volkes seien zu hoch und ständen im Mißverhältnis zu seinem Ertrag. Es komme auf eine Steigerung dieses Ertrages mit allen Mitteln und Sparsamkeit bis zum äußersten an. Dann sei die Frage der Weltwirtschaftsform umkämpft und zur Entscheidung drängend. Kommunistische Versuche wären zu allen Zeiten und überall gemacht worden, aber sie sind alle gescheitert, denn die Leistungsfähigkeit wird nur durch die Freude am Erfolg, am Besitz und an der Sorge für einen Kreis gesteigert. Unsere geschwächte feingegliederte Wirtschaft vertrage keine Experimente. Bei einer Zollunion könne kein Zweig der deutschen Landwirtschaft weiterbestehen. Die Regierung Brüning sei von Hindenburg zur Ordnung der Finanzen und zur Rettung der Landwirtschaft berufen worden und sie habe in Schiele den besten landwirtschaftlichen Fachmann gehabt. Aber dieser habe als einer unter vielen nicht mehr erzielen können, das heiße bis vorgestern „Nichts“. Demgegenüber müsse sich das Bauernvolk zusammenschließen und fordern. Das deutsche Volk, seine Wirtschaft und seine Landwirtschaft müsse aus der Erstarrung herauskommen. Nach Genf und Lausanne müßten Männer gesandt werden, welche den Mut hätten „Nein“ zu sagen und dabei zu bleiben. — Das Volk muß sich bewußt sein, daß es selbst sein Schicksal bestimmt. Hoffnung gebe das Erwachen der Jugend. Wenn wieder die Wahlen herankämen, dürfe der Bauer keine Fehlwahl treffen. Er dürfe nicht sozialistisch wählen, auch nicht wenn die Sozialisten national sind. — Der Referent fand den Beifall der Versammlung. Lagerhausverwalter Glaser sprach Reichstagsabgeordneten Haag den Dank der Versammlung aus und eröffnete die Diskussion. In der erregten Debatte sprachen zwei Nationalsozialisten gegen die Kampfweise des Bauernbundes ihnen gegenüber, wohingegen der Referent und ein anderer Redner des Bauernbundes den Nationalsozialisten die gleichen Vorwürfe machten. Von israelitischer Seite wurde die durchaus nationale Einstellung des allergrößten Teiles der deutschen Juden betont. Mit einem Schlußwort des Referenten und Dankesworten des Versammlungsleiters die zeitweise» und außerordentlich erregte, aber gegen Ende sehr ruhig verlaufene Versammlung.

(Vaterlandsfreund, Nr. 18, 23. 1. 1932)