( ) Niederstetten, 7. Mai. Für die Deutsch demokratische Partei war gestern Herr Theodor Heuß-Berlin (ein geborener Brackenheimer) hierher gekommen, um die vergangene Tätigkeit und die kommenden Ziele der Partei vor den Wählern zu beleuchten. Wir bekamen ein geistig und sprachlich hochstehendes Referat zu hören. Leider war der Besuch dieser Versammlung, wie der aller Versammlungen dieses Wahlkampfes nicht sehr stark. Welcher Partei ein Wähler auch angehören mag, nach welcher Richtung sich seine Gesinnung auch politisch wendet, bei den großen Entscheidungen über die Schicksale des Volkes, welche einzig und allein in der Hand des Parlaments ruhen, sollte jeder Wähler jede Partei prüfen und jeden Redner hören. Herr Oberlehrer Wahl begrüßte den Redner und die Versammlung. Er freue sich, in Herrn Dr. Heuß einen Meister des Wortes aus der politischen Werkstatt vorstellen zu können. Herr Dr. Heuß zog zunächst einen Vergleich zwischen dem Landtag und dem Reichstag. Während der Landtag seine Aufgaben erledigt hatte, mußte der Reichstag aufgelöst werden weil die Regierungskoalition in Kündigung lag. Wie kam der Reichstag zusammen und was leistete er? Im Jahre 1924 mußte zwei mal zum Reichstage gewählt werden. Im August 1924 tobte der Kampf gegen die Dawesgesetze, welcher von Bauernbund und Deutschnationalen mit großer Agitation betrieben wurde. Aber schließlich kommandierten die Rechtsabgeordneten doch so viele Abgeordnete ab, als nötig waren, um den Dawesgesetzen zur Annahme zu verhelfen. Dafür war ihnen von der deutschen Volkspartei der Eintritt in die Regierung versprochen worden. Die Demokraten hielten es für gefährlich, die Macht im Staat einer Gruppe zu beantworten, welche Gegner dieses Staates war. Der Aufgaben des verflossenen Reichstages waren es viele. In der Aufwertungssache hatten die Rechtsparteien ihren Wählern große Dinge versprochen, aber nicht gehalten. Der neue Zolltarif mußte unter Dach gebracht werden, der Steueraufbau mußte erledigt werden. Gleichzeitig hatte Stresemann als Außenminister den Versuch gemacht, mit England, Frankreich und Italien über die Sicherung unserer Westgrenzen zu verhandeln. Er kam zum Ziele und wenn wir auch schweren Herzens endgültig auf das Elsaß verzichten mußten, so war doch die Absicht Frankreichs vereitelt, aus der Rheinprovinz einen autonomen Pufferstar zu machen. Die deutsche Regierung schloß die Locarnoverträge, aber die eigenen Fraktionsgenossen der deutschnationalen Minister wagten es nicht, sie vor den Wählern zu vertreten. Im Kabinett machte die eine Partei die Innenpolitik, die andere die Außenpolitik. Das war auf die Dauer nicht möglich, weil die Dawesverträge zugleich wirtschaftlich die innere als auch die äußere Politik beeinflußten. Hindenburg erteilte im Jahre 1926 dem Abgeordneten Koch-Weser den Auftrag zur Bildung einer großen Koalition. Wenn die Sozialdemokraten heute die Regierung kritisieren, so haben sie kein Recht dazu, weil sie damals das Zustandekommen dieser Regierung vereitelten. Es entstand dadurch das Kabinett der Mitte Stresemann-Marx-Reinhold, das schwach war, aber in der Steuerpolitik Großes vollbrachte und die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund durchsetzte. Man mag über den Völkerbund denken wie man will – kurz vorher erscheint es realistisch gesehen, unmöglich, daß Deutschland an einem Tisch mit seinen Gegnern über sich und andere verhandle. Die Deutschnationalen, welche die Locarnoverträge und den Völkerbund bekämpft hatten, wollten in die Regierung und sagten, man müsse sich damit abfinden. Auch die Sozialdemokraten wollten in die Regierung. Der Erfolg war Sache der Taktik. Mithilfe der Deutschnationalen stürzen die Sozialdemokraten die Regierung. Im Januar 1927 kam die Rechtsregierung zustande, welche den interessanten Zug zeigte, daß sie die vom Zentrum vorgelegten Richtlinien unterschrieb. Und die Partei, welche noch im Sommer 1926 dem deutschen Volker erzählte, Deutschland sei nur zu retten, wenn ein Hohenzoller an seine Spitze trete, stimmten dem Republikschutzgesetz zu, welches Wilhelm II die Rückkehr nach Deutschland auf viele Jahre verbot. Diese Rechtsregierung ließ viele Fragen ungelöst liegen. In der Wahlreform (Abschaffung der großen Wahlkreise) ist nichts geschehen, nichts geschah in der Finanzgesetzgebung, nichts geschah um die Rentner fürsorge auf eine Rechtsgrundlage zu stellen und die Kooperationen zu entlasten. Die Koalition scheiterte über dem Schulgesetz. Warum war die Demokratie dagegen? Weil sie fürchtete, daß die Gemeinschaftsschule, welche der Ausdruck deutscher Kultur und Einheit sein sollte, zur Antragsschule erniedrigt würde. Was war der Kern der Sache? Das Recht der Erziehungsberechtigten, Schule nach ihrem Willen zu errichten. Wenn 30 Eltern sich zusammengetan hätten, hätten für 30 Schüler eines Bekenntnisses Schulen errichtet werden müssen. Bei gemischten Konfessionen bestand die Gefahr, daß alle drei Jahre ein Streit darüber entstanden wäre. Die finanzielle Frage wurde überhaupt nicht erwogen, bis Preußen errechnete, daß hunderte von Millionen mehr hätten aufgewendet werden müssen, ohne daß eine Mehrleistung im Schulwesen zu verzeichnen gewesen wäre. Das Schulgesetz war aber nicht allein die Ursache des Zerfalls der Koalition. Stresemann hatte nicht verhindern können, daß eine Außenpolitik, welche doch von den deutschnationalen Ministern mitgemacht wurde, in der Presse dieser Partei bekämpft wurde. Parker Gilbert war nicht Finanzkontrolleur, aber während Reinhold es ermöglichte, daß die Zahlungen aus dem Besserungsschein um 200 Millionen erniedrigt wurden, hat Herr Kohler Parker Gilbert als Finanzkontrolleur angerufen. Der Dawesplan beruht auf der falschen Voraussetzung, daß Deutschland seine öffentliche Schuld gelöscht habe und auf der richtigen Voraussetzung, das Reparationen nur aus dem Ueberschuß bezahlt werden können. Der Dawesplan muß revidiert werden, weil die Franzosen selbst keine Nutzen davon haben. Der Referent betont dann die Notwendigkeit der Handelsverträge und die Anpassung der Zollsätze, wobei er an die früheren Zollkämpfe erinnert. Dem Handelsvertrag mit Frankreich habe sogar der Bauernbund trotz der niederen Zollsätze zugestimmt. Die Agrarkrise komme von dem Kreditbedürfnis der Landwirtschaft nach der Inflation und den folgenden zwei schlechten Ernten. Die Rechtsparteien wollten damit große Wahlagitation treiben, was ihnen nicht gelang, denn alle Parteien haben den Notgesetzen zugestimmt. Die Protestaktion sei nach der Stuttgarter Protestreise abgeflaut, denn die Bauern besannen sich nachher, gegen wen sie eigentlich gerichtet sein soll, nachdem sowohl im Reich als auch in Württemberg eine Rechtsregierung mit Ministern aus dem Bauernbund bestehen. Nicht die Zollpolitik allein, sondern auch die Besteuerung trage schuld an der Agrarkrise. In der Staatsvereinfachung habe die Regierung Bazille gar nichts geleistet. Es müsse geprüft werden, ob Deutschland nicht überorganisiert sei. Wir sehen, so führt hier Herr Dr. Heuß aus, nicht ein warum das heranwachsende Geschlecht vor jedem Grenzpfahl Respekt haben soll. Die heutigen Grenzpfähle sind von den Soldaten Napoleons eingerammt worden und nicht selten gegen den Willen der Bevölkerung. Er führt dann aus, daß das nicht immer so bleiben müsse. Nicht die Ersparnisse an Landesvertretungen und Ministerien sei das Wesentliche, sondern die Intensivierung der geleisteten Arbeit und die Vereinfachung des Dienstweges. Dabei müssen geklärt werden, welche Aufgaben von dem Reiche und welche von den Ländern erledigt werden müssen. Die Demokratie wehrt sich gegen die Darstellung Bazilles, als ob die Preußen kommen und den Süddeutschen die Seele wegfressen. Auch in Preußen gab es ganz verschiedene Ländergebilde und doch seien sie in einem Staat zusammengeschlossen. Was der Redner ablehnen müsse, sei der Versuch Bazilles und der Deutschnationalen, die deutsche Frage so zu regeln, daß der Reichspräsident preußischer Staatspräsident und der Reichskanzler preußischer Ministerpräsident sei. Gerade dann wären die süddeutschen Staaten Hilfsstaaten Groß-Preußens. Der Einheitsstaat Frankreich sei immer stark gewesen, wenn in Deutschland Uneinigkeit herrschte. Wenn Bazille und Dehrlinger sich rühmen, sie hätten gegen die demokratischen und sozialdemokratischen Abgeordneten die erhöhte Biersteuerüberweisung erwirkt, so tun sie das zu Unrecht. Sie hätten dann ja 1925 ihre Pflicht nicht getan. Die erhöhte Biersteuerüberweisung war der Lohn für die bayerische Volkspartei, dafür, daß sie bei der Regierung blieb. Eine so unanständige Sache konnte die Demokratie nicht mitmachen. Nach einigen polemischen Bemerkungen über die anderen Parteien kam der Redner zum Schluß. Seine Partei vertrete nicht Sonderinteressen, sondern Allgemeininteressen. Sie haben oft das Opfer einer unpopulären Politik auf sich genommen, aber stets zum Nutzen des Volkes. Seine Partei wünsche sich eine Verbreiterung des Vertrauens im fränkischen und schwäbischen Volke, welches früher stolz darauf war, ein demokratisches Volk genannt zu werden. Und der Redner wissen, daß seine Partei Männer habe, welche dieses Vertrauen verdienen. – Nach einer kurzen, anregenden Diskussion, in welcher besonders das Verhalten der Regierung in der Frage des achten Schuljahres ernste Verurteilung erfuhr, schloß der Vorsitzende, Herr Oberlehrer Wahl, mit Worten des Dankes für Herrn Dr. Heuß die Versammlung.

Vaterlandsfreund, 9. 5. 1928