( ) Niederstetten, 6. April. In Nummer 105 ds Bl. entgegnet Herr Fr. Schmidt auf mein Referat über die hiesige nationalsozialistische Versammlung. Mein Referat war durchaus objektiv und kann der Einsender auch nichts dagegen anführen. Er verlegt vielmehr die Fortsetzung der für seine Partei recht unrühmlich verlaufenen Diskussion in die Tagesztg. Auf die weitschweifende Einleitung habe ich nur zu bemerken, daß jeder vernünftige Deutsche das Uebermaß der Parteien beklagt und daß das, was seine Partei als Originalität für sich in Anspruch nimmt, längst von anderen Parteien in viel besserer und anständigerer Weise verfochten wird. Nachdem jedoch Herr Schmidt die Spalten der Zeitung für sich in Anspruch nimmt, so möge er sich als junger Mann einige Belehrungen gefallen lassen. In Rußland hat es von jeher in einzelnen Teilen Hungersnot gegeben. Was er im Gegensatz dazu von Italien sagt, mag es richtig sein oder nicht, der Fascismus in Italien ist und war nie antisemitisch. Mit seiner dem Stürmer oder auf ähnlicher Geisteshöhe stehender Presse entnommenen Bemerkung über die anwesenden Israeliten beweist Herr Schmidt nichts. Er möge sich über das Unrecht der Ausnahmegesetze gegen die Juden in dem großen, soeben erschienenen Werke gegen den Antisemitismus des Stuttgarter Stadtpfarrers Lamparter orientieren. Jedenfalls hat der Debatteredner recht, wenn er einem zugereisten Russen das Recht abspricht, über Volksgenossen zu urteilen, welche seit 2000 Jahren in Deutschland ansässig sind und durch Sprache und Tat jederzeit ihr Deutschtum bewiesen haben. Wir brauchen uns nicht von ausländischen Hetzern belehren lassen. Die Tätigkeit des Herrn Dr. Geiger wurde erst dieser Tage, anläßlich seiner Verurteilung, an den Pranger gestellt. Er selbst erklärte dem Gerichtsvorsitzenden, erlebe vom Stempeln (Arbeitslosenunterstützung). Was die Herren Rotscheck machen, der Name war mir bis heute unbekannt, weiß ich nicht. Jedenfalls darf Herr Schmidt nicht vergessen, daß sogar deutscher Hochadel, bei dem der Kaiser oft zu Gast war, die polnische Nationalität annahm. Der passive Ruhrkrieg war ein Unglück, der von den Nationalsozialisten gewollte aktive Ruhrkrieg wäre Wahnsinn und Verbrechen im Quadrat gewesen. Der Rassenstaat ist Unsinn. Wer würde Fremdblütigen, welche sich als gute Deutsche bewährt haben, das Bürgerrecht verweigern können. Und was würden die anderen Staaten der Welt mit ihren Bürgern deutschen Blutes tun? Abgesehen davon, daß seit der Völkerwanderung das Blut aller europäischen Völker stark vermischt wurde. Jedenfalls wird es gut sein, wenn Herr Schmidt außer einigen memorierten völkischen Phrasen noch etwas anderes über die Zusammenhänge des Lebens im allgemeinen und der Politik im besonderen lernt. Dazu gehört auch der Anstand, sich über eine Tat, wie die der Völkischen in München (Sprengung der Stresemannversammlung) zu schämen, anstatt die Buberei als Heldentat darzustellen.

Vaterlandsfreund, 8. 5. 1928