( ) Niederstetten, 29 April. Der heutige Sonntag brachte uns eine Wählerversammlung des Bauern- und Weingärtnerbundes im Löwensaale. Herr Gutsbesitzer Schuch-Zell eröffnete und begrüßte die Versammlung, besonders den Referenten, Herrn Finanzminister Dr. Dehlinger. Herr Finanzminister Dr. Dehlinger führte aus: Am 4 Juni werden es vier Jahre seit die Rechtsregierung in Württemberg regiere. Ihr Ziel war ein vielfaches: Gerechtigkeit, Ordnung, Sparsamkeit und Steuerentlastung. Wie weit ist dieses Ziel erreicht worden? Der Wähler, welcher prüft, muß sich bewußt sein, daß die Regierung mit Schwierigkeiten und Hemmnissen zu kämpfen hatte. Zunächst hatte das Volk die Freiheit verloren. Es müssen jährlich 2 1/2 Milliarden Mark an die Feindstaaten bezahlt werden und außerdem bringt uns der verlorene Krieg 2,2 Milliarden innerer Lasten. Diese 4,7 Milliarden sind so viel als im Frieden die gesamte deutsche Steuerlast betrug. Die ungeheure Steuerlast belastete das Volk in allen Ständen drei -bis viermal so hoch als vor dem Krieg. Hand in Hand damit geht die Steigerung der Sozialleisten (Versicherung etc.). Dazu kommt, daß durch die Erzbergersche Finanzreform im Jahre 1922 die Finanzhoheit an das Reich überging. Die Länder sind vom Reich abhängig und blieben ihnen nur die Gebäude-, Grund- und Gewerbesteuern. Es ist in Württemberg nicht einmal möglich, seine Beamtenbesoldung allein festzusetzen, denn da drei Fünftel aller Beamten in Württemberg Reichsbeamte sind, muß sich Württemberg nach dem Reiche richten. Weitere Hemmnisse liegen in der passiven Handelsbilanz, welche zum Teil durch Einfuhr vieler unnötiger Artikel verursacht wird. – Die fremden Staaten haben während des Krieges ihre Industrien ausgebaut und wenn sie jetzt Handelsverträge unter Verzicht auf hohe Industriezölle schließen, tun sie es nur unter Bevorzugung ihrer landwirtschaftlichen Produkte. Gerade auf Erhöhung dieser Zölle müssen wir bedacht sein, damit unsere württembergischen Bauern und Landwirte bestehen können. Notwendig sei eine bessere Organisation des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte. Ein weiteres Hemmnis für die Regierung ist die katastrophale Lage der Landwirtschaft. Es ist unrecht, die Rechtsregierung dafür verantwortlich zu machen. Diese könne weder für schlechtes Wetter noch für bessere Preise. Das Ziel der kommenden Regierung muß Hebung der Landwirtschaft sein. Das vierfache Ziel der Regierung setzt geordnete Verhältnisse voraus. Die Regierung hat die Finanzen geordnet, die Staatssteuern von 8 auf 5 Prozent herabgesetzt und außer 25 Millionen Mark für Wohnungsbau keine Schulden aufgenommen. Im Vorrang des Reichs entsprechend wurden die Gehälter der Beamten der Teuerungszahl angepaßt und dies ist ohne Steuererhöhung gelungen. – Viele Ausgaben des Staates sind zwangsläufig, so diejenigen für Unterricht (Schulen aller Art und Universität), Innenverwaltung (darunter Polizei, Straßenbau), Justiz und die Ausgaben zur Förderung von Gewerbe, Handel und Landwirtschaft. Die Regierung war bestrebt, sparsam durchzugehen und daß alle Parteien den Etat bewilligt haben, beweist, daß ihr dies gelungen ist. – Das Prinzip des Landtages und der Regierung muß sein, "keine Ausgabe ohne Deckung". Drei Möglichkeiten stehen der Regierung zur Verfügung. Verkürzung der Ausgaben, Schuldenaufnahme und Erhöhung der Einnahmen. Die Ermäßigung der Steuern auf 5 Prozent sei der Regierung durch neue Regelung der Reichsüberweisung an Steuern und durch einen größeren Anteil an der Biersteuer gelungen. Der Redner wundert sich, daß die süddeutschen Abgeordneten der Linksparteien gegen diese Mehrüberweisung der Biersteuer gestimmt haben. – Weiter führt der Finanzminister Dr. Dehlinger aus: Wenn man von Steuern spricht, kann man nicht eine einzelne Steuer allein, sondern man muß alle im Zusammenhang betrachten. So wird der jetzigen Regierung zum Vorwurf gemacht, die Befreiung der Landwirtschaft von der Hauszinssteuer sei eine ungerechte Bevorzugung. Der Bauer sei mit insgesamt 20 Prozent seines Einkommens zu Steuern herangezogen, der Gewerbetreibende nur mit 11,5 Prozent. Man wird in den letzten Tagen im Landtag beraten, ob das Gewerbe entlastet werden kann. Auf einer Eingabe der vier Handwerkskammern habe die Demokratie im Einverständnis mit Sozialdemokratie und Deutscher Volkspartei einen Antrag gestellt, welcher für Staat und Gemeinden 5 Millionen Mindereinnahmen gebracht hätte. Diese 5 Millionen hätten Gebäude und Grund mehr belastet, man kann aber der ohne dies ungerecht hoch belasteten Landwirtschaft nicht neue Belastungen aufladen. – 1925 waren im Etat 8 Millionen Abmangel vorhanden. Diese wurden gedeckt durch Entlastung des Staates von einem Teil der Schullasten, welche wieder wie vor dem Kriege den Gemeinden und in höherem Maße den Städten aufgeladen wurden. Es ist wichtiger, der Staat ist gesund, um der Abhilfe aller möglichen Notstände nähertreten zu können, als fette Städte. – Ein gesunder Lastenausgleich ist nötig, damit den Städten nicht alles zufällt und auch dem Lande geholfen werden kann. Ganz besonders trifft dies auch auf das Fürsorgewesen und den Straßenbau zu. Der Einheitsstaat werde die Ausgaben nicht verringern. Wir in Württemberg haben es nicht nötig, unsere Eigenstaatlichkeit aufzugeben. Es ist Lebensbedingung, selbstständig zu bleiben, und den Staat lebenskräftig zu erhalten. Hie gut Württemberg allweg. Nun werde der Rechtsregierung vorgeworfen, sie habe für die Verwaltungsreform und Verwaltungsvereinfachung gar nichts getan. Die Regierung habe hier stille Arbeit geleistet und dies aber auch der Reichssparkommissar anerkannt. Was ist nun das Ergebnis der vierjährigen Regierungs- und Finanzpolitik? Ruhe, Ordnung und Arbeit die Spareinlagen sind erhöht und das beweist, daß das Volk Vertrauen zu der Regierung hat. Die Staatsfinanzen sind geordnet. Der Staat konnte helfen, wo Not war und erst dieser Tage wieder wurden 500 000 M ausgesetzt für die Hagelversicherung, wobei der Staat eine weitgehende Entschädigungspflicht für Hagelschäden unter Begrenzung der Beiträge der Landwirte übernommen hat. Diese Erfolge waren nur durch die Koalition des Bauernbundes mit Zentrum und Bürgerpartei möglich. Das Zentrum ist in Württemberg in seiner Mehrheit bäuerlich und seine Abgeordneten haben gesehen, daß sie ihren helfen konnten. Trotzdem ist das Zentrum in seiner Politik weder rechts noch links gebunden. Im parlamentarischen System gilt nur die Mehrheit, die Wähler haben daher zu entscheiden, ob eine einseitige Klassenpolitik oder gesunde Wirtschaftspolitik getrieben wird. Jedenfalls sollte jeder Wähler von seinem Wahlrecht Gebrauch machen. Das Erbübel der Deutschen, die Zersplitterung, macht sich auch in dieser Wahl breit. Drei neue Parteien, die Wirtschaftspartei, die Aufwertungspartei und der ev. christl. Volksdienst treten auf den Plan. Es ist bedauerlich, daß die Sorge um das tägliche Leben das Volk beherrschen und die Ideale verloren gegangen sind. Nur wenn wir beten und arbeiten und eine gute Gesinnung uns beherrscht, können wir aus dem Elend herauskommen. Darum sollen die Wähler die Treue zu Volk und Staat halten. – Herr Schuch-Zell dankte dem Herrn Finanzminister Dr. Dehlinger für seine Ausführungen namens der Versammlung und erteilte Herrn Schmidt-Gerabronn das Wort. Herr Schmidt sprach gegen den Einheitsstaat und wandte sich dann in kurzen Ausführungen an die Partei der Nichtwähler. Hierauf schloß Herr Schuch die Versammlung.

Vaterlandsfreund, 1. 5. 1928