( ) Niederstetten, 28 April. Im Löwensaale hielt die Nationalsozialistische Arbeiterpartei ihre Wahlversammlung ab. Redner war Herr Dr. Geiger-Stuttgart, ein geborener Deutsch-Russe, welcher, wie er selbst sagte, auch gegen Deutschland gekämpft hatte. Herr Dr. Geiger suchte zu beweisen, war um die nationalsozialistische Arbeiterpartei neben der Sozialdemokratie nötig sei. In der Sozialdemokratie seien zwei Prinzipien vertreten, welche sich bekämpfen. Nach dem Kriege sei dem Volk Friede, Freiheit und Brot versprochen worden, aber die Sklaverei sei immer schlimmer geworden. In Deutschland sei es ungefähr, wie wenn in einem brennenden Haus sich die Leute streiten, ob es rot oder grau angestrichen werden soll, anstatt zu helfen und zu löschen und über diesem Streite schlagen sich die Leute die Köpfe blutig. Eine große Tat sei es gewesen, daß die Nationalsozialisten in München die Stresemann Versammlung gesprengt haben und diesen Mann nicht reden ließen. Den Ruhrkrieg haben auch die Nationalsozialisten gewollt, aber nicht passiv, sondern aktiv. Hierauf begann der Redner das Programm seiner Partei, welches nach seiner Angabe aus 24 Punkten bestand, zu erläutern, er sprach jedoch nur über vier Punkte. 1) Zusammenschluß aller Deutschen, auch der 26 Millionen Deutsch-Amerikaner, 2) Aufhebung der Friedensverträge, 3) Wiedererwerbung von Kolonien, 4) Staatsbürger kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, wobei das Programm die Juden ausschließt. Der mitgebrachte Sturmtrupp rief Heil. Ein Debatteredner erklärte, es wäre dem Redner auch ohne Sturmtrupp hier nichts passiert. Es sei eine Frechheit von einem Russen, den deutschen Juden, welche seit 2000 Jahre alles Glück und Unglück als Deutsche tragen, das Staatsbürgerrecht abzusprechen. Die nat.-soz. Arbeiterpartei sei durchaus unnötig, was sie den Arbeitern verspreche, habe die Sozialdemokratie im Rahmen der Möglichkeit längst erfüllt. Der hiesige Nationalsozialist habe selbst zugeben müssen, daß er und Hunderte anderer Kameraden kameradschaftliche Wohltaten von Juden in größtem Ausmaße empfangen haben. Auch die ganze Rassentheorie sei im praktischen Leben Unsinn. So sei der berühmte Flieger von Hünefeld von der Mutterseite von rein jüdischer Abstammung. Die Sprengung der Stresemannversammlung in München sei keine Heldentat, sondern eine unwürdige Rüppelei und andere Taten hätten die Nationalsozialisten nicht aufzuweisen. Was die anderen behandelten Programmpunkte anbelangt, so werden diese auch von den anderen Parteien verfochten. Die Nationalsozialistische Partei hätte aber, wie die Stresemannversammlung beweise, keine Veranlassung, sich über die streitenden Leute im brennenden Hause zu beklagen.

Vaterlandsfreund, 1. 5. 1928