( ) Niederstetten, 17. April. Im Nebenzimmer der Brauerei "Krone" hielt der Landw. Ortsverein am Sonntagabend seine diesjährige Haupt- bezw. Wahlversammlung ab. Herr Hagelstein begrüßte die Erschienenen und übergab das Wort Herrn Bauernanwalt Schmidt-Gerabronn zu dessen Vortrag "Der Existenzkampf der deutschen Landwirtschaft und die kommenden Wahlen." Herr Schmidt zählte die Leiden der Zeit auf wie den Steuerdruck, die hohen sozialen Lasten, die Arbeitslosigkeit auf der einen Seite, den landw. Arbeitermangel auf der anderen. Das Schlimmste sei aber die enorme Preisspanne zwischen dem Preis der landwirtschaftlichen Produkte und den Betriebsausgaben. Diese Spanne müsse behoben werden und wäre dies nur durch rechtzeitige Einführung eines Schutzvolles möglich. Der Redner gab einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Landwirtschaft und wies darauf hin, daß in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Deutschland begonnen hat, aus einem reinen Agrarstaat zu einem Industriestaat sich zu entwickeln. Diese Entwicklung wurde vom Staat durch Zölle etc. begünstigt, während der Landwirtschaft weniger Aufmerksamkeit zugewandt worden sei Deutschland müsse aber seiner geographischen Lage wegen schon allein seine Landwirtschaft auf einer hohen Stufe halten, denn durch irgendwelche Umstände, sei es Krieg anderer Mächte, so daß wir indirekt blockiert sind, sei es durch Kreditsperre des Auslandes etc. können wir allein auf die eigene Produktion angewiesen sein, und wenn eine solche infolge einer jahrelangen Unrentabilität darniederliegt, kann es für die Ernährung unseres Volkes alsdann sehr zu Schaden sein. Der Redner ging dann noch auf den Einheitsstaat ein, den er ablehnt, ferner auf die noch von der Führerschaft in Stuttgart hingewiesenen Arten der Selbsthilfe wie Käufer-, Steuer- und Anbaustreiks ein. Ueber diese Themen wird überall so viel geschrieben und debattiert, so daß es hier unnötig ist, näher einzugehen. Im Wahlkampf sieht der Redner bloß zwei Parteien, das sind links die Freihändler und rechts die Schutzzöller. Ferner fordert der Redner vom neuen Landtag, die Landkrankenkassen, die überall im Deutschen Reich sind, bloß nicht in Württemberg und Baden. Außerdem sprach Herr Schmidt über die wachsende Auslandsverschuldung, über die erhöhte Südfrüchte- und Gefrierfleischeinfuhr und fordert bedeutende Einschränkung. Der Redner schloß mit einem Bismarckwort unter lebhaftem Beifall. Herr Verwalter Glaser-Niederstetten bedauert es aufs äußerste, daß ein rein landwirtschaftlicher Ort der Umgebung sich für eine Partei, die sich national nennen würde, zu propagieren hergegeben hat. Eine Partei, in deren Versammlung in diesem Ort sich die Redner gegen die Forderung der Landwirtschaft, d. h. gegen den Schutzzoll und mehr gewandt haben. Der Redner warnt die Landwirte hiervor und unterstreicht in seinen Ausführungen die Ausführungen des Herrn Schmidt. Herr Landtagsabgeordneter Klein-Vorbachzimmern gab ein Bild über das parlamentarische Wirkung des Bauernbundes und der derzeitigen Regierung in den letzten Jahren. Er hat sich in seinen Ausführungen besonders mit dem Einheitsstaat, den auch eher ablehnt, ferner mit der Schulbildung und mit dem württembergischen Etat beschäftigt. Er unterstrich die Bemerkung von Herrn Glaser, der die zu großen Ausgaben für den Wohnungsbau rügte und der über die niederen Mieten im Verhältnis zu den Instandsetzungskosten einer Wohnung klagte. Auch die wichtige Frage der Beamtenbesoldungserhöhung erklärte der Herr Redner und rechtfertigte seine Partei, warum sie dafür gestimmt habe. Die Nationalsozialistische Partei hält der Referent für unzuverlässig und teilt mit, daß sogar einer von den drei württembergischen Abgeordneten dieser Partei zum Bauernbund übergetreten sei. Diese Partei, die sich national nennen würde, würde bei Abstimmungen zu drei Fünftel gegen die nationalen bezw. gegen die landwirtschaftlichen Forderungen stimmen. Der Redner bittet seine Freunde, nicht für solche Parteien zu stimmen, da diese Stimmen einer guten Sache verloren gehen. Die neue Landtagspartei, den "Christlichen Volksdienst" halte er für wohldenkend und meinend, aber die anderen Parteien seien nicht weniger christlich. Auch diese Stimmen gehen größeren einflußreicheren Parteien verloren. Der Redner schloß unter Beifall. Herr Glaser und Herr Schmidt beteiligten sich dann nochmals an der Aussprache und bat Herr Schmidt, für größere Wahlbeteiligung Sorge zu tragen Herr Hagelstein schloß alsdann die interessante und wichtige Versammlung.

Vaterlandsfreund, 19. 4. 1928