( ) Niederstetten, 11 März. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Als erste der Parteien stellte sich hier die Sozialdemokratie vor, deren Redner Herr Parteisekretär Kellermann im Löwensaale sprach. Um allen Parteien gerecht zu werden, werde ich von jeder der größeren Parteien ein Versammlungsreferat veröffentlichen. Hr. Parteissekretär Kellermann gab eine Schilderung der Verhältnisse, welche verursachen, daß auch die Reichstagswahlen schon im Frühjahr stattfinden, während der Reichstag gesetzlich noch bis Ende des Jahres Lebensdauer hätte. Die Rechtskoalition sei hauptsächlich über dem Schulgesetz gescheitert und hätte nach dessen Fall das Zentrum erklärt, es habe kein Interesse mehr am Weiterbestehen der Koalition. Jetzt werde der Reichstag noch einige Aufgaben erledigen und dann aufgelöst werden (Etat – Notprogramm der Landwirtschaft – Krisenfürsorge – Erhöhung der Invaliditätsrenten – Teile des Strafgesetzbuches –.) Auch der württ. Landtag werde wahrscheinlich am gleichen Tage neu gewählt. Die Bedeutung der Wahl sei noch nicht allen Wählern klar. In der Republik entscheide in allen Dingen der Wille des Volkes, daher sei auch der Beschluß einer Reichstagsmehrheit unbedingt gesetzt. Im alten Kaiserreich konnte wohl der Reichstag beschließen, aber Kaiser und Bundesrat hatten ein Vetorecht. Daher stehe bei den kommenden Wahlen das Volk vor der Entscheidung – rechts oder links. Vor den letzten Wahlen im Jahre 1924 hatten die Rechtsparteien dem Volke viele Versprechungen gemacht. Außenpolitisch verlangte die Rechte Verweigerung der Reparationen, Nichtanerkennung des Versailler Diktates. Innenpolitisch versprach sie hohe Aufwertung den Staatsgläubigern und verlangte die Erhöhung der Wehrfähigkeit des Volkes und Kampf dem Parlamentarismus. In Wirklichkeit habe sie von alledem nichts gehalten. In der Aufwertung waren die Wähler getragen betrogen und die Deutschnationalen haben ihren Aufwertungspolitiker Best welcher das Wahlversprechen halten wollte, hinausgeworfen. Sie haben auch nicht das Geringste gegen die Gewaltpolitik der Feinde unternommen und haben die Dawesplan- und Locarno-Politik planmäßig weitergeführt, ja durch die Maßnahmen des deutschnationalen Finanzministers Schlieben erhalten die Feinde in Folge der Erhöhung mehrerer verpfändeter Steuern jährlich 300 Millionen Mark mehr. Die Deutschnationalen haben auch Befreiung des deutschen Bodens von fremder Besatzung verlangt. Infolge ihres Kriegsgeschreis sitzen aber die Besatzungen fester als je und alle angeknüpften Annäherungen sind wieder verloren gegangen. Die Rechtsparteien haben auch Steuerabbau versprochen, die Steuern sind aber dermaßen erhöht worden mit Ausnahme derjenigen des Großgrundbesitzes, daß Arbeiter, Bauer und Gewerbetreibender unter den Steuerlassen zusammenbrechen. Unerhört hoch seien besonders die hohen Pensionen. Hier solle auch gesagt werden, daß von den ehemals sozialdemokratischen Ministern nur ganz wenige und diese ganz geringe Pensionen beziehen. In der Fürstenabfindung haben die Rechtsparteien ein notwendiges Gesetz des Reiches verhindert und so die durch die Gerichte ausgesprochene oft hundertprozentige Aufwertung der Regenten und Standesherren ermöglicht. Dabei müssen oft für Einkünfte lächerlicher Art diese Aufwertungen bezahlt werden. Auch in Württemberg habe Herzog Albrecht, welcher mehrfacher Millionär sei und 36.000 Morgen der besten Aecker, Weinberge, Wiesen und Wälder besitze, eine Barentschädigung von 3 Millionen Mark erhalten. Damit ging der Redner zur württembergischen Landespolitik über. Herr Staatspräsident Bazille habe, solange er in der Opposition war, für alle möglichen Dinge Besserung versprochen so besonders Abbau der Ausgaben, Erniedrigung der Steuern, Staatsvereinfachung. Von alledem sei nichts erfolgt. Unter nichtigem Vorwand habe er den verdienten Gesandten Württembergs in Berlin, Hildebrand, abberufen und einen anderen Herrn hingesandt. Während Hildebrandt monatlich 2.700 M erhielt, erhalte der jetzige Gesandte das Vielfache davon. Die Staatsausgaben seien von 163 Millionen in 1924 auf jetzt 260 Millionen gestiegen, dabei habe aber die Regierung Bazille alle möglichen Ausgaben auf die Gemeinden und Kooperationen abgewälzt. In Württemberg werde die Gebäudeentschuldungssteuer fast ganz vom Staat verbraucht, während sie in anderen Ländern für Wohnungsbau Verwendung finde. In Württemberg erhalten die Gemeinden von den Steuerrückvergütungen des Reichs 33 1/3 Prozent, in Preußen 45 Prozent, dagegen haben in Württemberg die Gemeinden 80 Prozent der Schuldenlasten, in Preußen nur 25 Prozent derselben zu tragen. Es sei nicht das Geringste unter der Regierung Bazille geschehen, um die Staatsverwaltung zu vereinfachen und zu verbilligen. Der Bauernbund habe vier Jahre lang die unbeschränkte Macht in Württemberg gehabt, trotzdem sei es soweit gekommen, daß die Bauern Notdemonstrationen machen müssen. Die Sozialdemokratie habe weder im Reich noch in Württemberg je eine absolute Mehrheit gehabt. Lediglich in dem Vierteljahr war dies der Fall, als die Volksbeauftragten regierten. Diese mußten die neue Verfassung vorbereiten, das Heer zurückführen, die Kriegswirtschaft in Friedenswirtschaft überführen und habe alle diese Leistungen vollbracht. Es sei ein Verbrechen, auf einen neuen Krieg hinzuarbeiten, denn ein solcher wäre der Untergang Europas. Daher müssen wir auf Einigung mit unseren früheren Gegnern hinarbeiten, um uns die verlorenen Weltmärkte wieder zurück zu erobern. Die Rechte sei für Stützung von Großindustrie und Großgrundbesitz, für hohe Gehälter und Pensionen. Wer das Gegenteil wünsche, müsse links, sozialdemokratisch wählen.

Vaterlandsfreund, 13. 3. 1928