( ) Niederstetten, 2. Jan. Die Farrenhaltung wird hier seit Jahrzehnten in bester Weise von Herrn Fr. Herz besorgt. Nun geht seit einiger Zeit das Bestreben eines Teils der Landwirte dahin, die Stadt solle die Farrenhaltung in eigener Regie übernehmen. Die Bestrebungen führten zu einem entsprechenden Antrag im Gemeinderat. In einer der letzten Sitzungen wurde darüber verhandelt. Es sei vorausgeschickt, daß die Meinungen der Landwirte in dieser Angelegenheit keineswegs ungeteilt sind. Während, wie oben schon erwähnt, ein Teil die Regiefarrenhaltung wünscht, wohl besonders aus dem Grunde, um größeren Einfluß auf die Anschaffung guter Zuchttiere gewinnen, wünschen viele Landwirte den Fortbestand des seitherigen Zustandes. Im Gemeinderat kamen alle diese Meinungen zum Ausdruck und es war schwer, eine Einigung herbeizuführen. Nach verschiedenen vorliegenden, von Herrn Stadtschultheiß Schroth vorgetragenen Berechnungen, bringt die Regiefarrenhaltung keine höhere Belastung des Gemeindeetats. Von nicht landwirtschaftlicher Seite des Gemeinderates wurden Bedenken gegen diese Berechnungen geäußert. Die seitherigen Ausgaben der Stadtgemeinde für die Farrenhaltung belaufen sich auf ca. 2800 M. Und nun den Landwirten entgegenzukommen und doch eine gewisse Garantie gegen eine allzu hohe Belastung des Gemeindeetats zu schaffen, stellte ein Gemeinderat folgenden Antrag: "Die Stadtgemeinde führt die Regiefarrenhaltung ein und trägt deren Kosten bis zum Betrag von 3200 R.M. Der darüber hinausgehende Auslagenbetrag muß durch Sprunggeld aufgebracht werden: Nach etwas erregter Debatte fand der Antrag einstimmige Annahme. Für die Zwecke der Regiefarrenhaltung wurde die Scheune des Herrn Dentist Wild am Schimmelturm gemietet. Wir hoffen, daß der Beschluß des Gemeinderates unserer Landwirtschaft in viehzüchterischer Hinsicht zum Besten gereicht.

( ) Niederstetten, 2. Jan. Nachdem es dem Gemeinderat möglich war, an Weihnachten durch reiche Gaben aus der Bernheim-Stiftung viele Arme zu erfreuen, hat Herr Wilhelm Bernheim, Ehrenbürger unserer Stadt, eine weitere hochherzige Gabe hierher gelangen lassen. Er übersandte der Stadt 800 R.M, von welchen 500 M zur Vergrößerung der Bernheim-Stiftung, 200 M dem Verschönerungsfond dienen, während die restlichen 100 M als weitere Weihnachtsgabe an Arme verteilt wurden. Auch an dieser Stelle seit dem edlen Spender und treuen Sohne unserer Stadt der innigste Dank ausgesprochen.

( ) Niederstetten, 2. Jan. Unser gesellschaftliches Vereinsleben hat gestern mit der Weihnachtsfeier des Turnvereins einen guten Jahresanfang zu verzeichnen. Bis auf den letzten Platz und fast darüber hinaus war die Turnhalle von einer festlich gestimmten erwartungsvollen Menge erfüllt. Und auch die besten Erwartungen wurden erfüllt. Der erste Teil der Vortragsfolge war der Turnerei gewidmet. In abwechslungsreicher Folge boten Bodenturner und Turnerinnen glänzende Leistungen in Körperschulung, rhythmischen Uebungen, Stabturnen, Reigen, Barrenturnen. Es erübrigt sich, darüber eingehend zu berichten. Es soll aber gesagt sein, daß alle diese Vorführungen von einer jahrelangen ernsten Körperschulung sprechen, daß strenge Disziplin und Pünktlichkeit die Grundlagen des großen Erfolges sind. Einige Worte seien über das Bodenturnen gesagt. Diese Übungen waren durchaus neu und gefielen besonders gut. Es war beste Parterreakrobatik, welche hier geboten wurde. Der zweite Teil brachte uns das ewig junge Lustspiel von Franz von Schönthan "Der Raub der Sabinerinnen". Das Stück mit seinem gesunden Humor ist keineswegs so leicht wie irgendein Schwank zu spielen. Es verlangt von den Darstellern feine Komik und wenn manche Stellen an die Grenze des Grotesken gehen, so müssen die Darsteller besonders vorsichtig sein, diese Grenze nicht zu überschreiten. Diese Forderung des Stückes wurde besonders fein gewahrt. Das Spiel war glänzend, flott, mimisch und memnotechnisch vollendet. Das Zusammenspiel ließ in gar nichts erkennen, daß Dilettanten auf der Bühne handelten. Die Darstellung war oft von Lachsalven und Beifallsbezeugungen unterbrochen. Die Lotterie war reich mit Gewinnen ausgestattet und der folgende Ball bildete einen schönen Abschluß der Feier. Der Wunsch des Vorstandes, Herrn K. Streitberger, die anwesenden möchten einige frohe Stunden verleben, war voll und ganz in Erfüllung gegangen.

Vaterlandfreund, 4. 1. 1928