( ) Niederstetten, 22. Aug. Die ländliche Musikkapelle hatte bis vor wenigen Jahren einzig und allein den Beruf, zum Tanze aufzuspielen. Allenfalls noch einen Marsch für einen Festzug – damit war das Repertoire erschöpft. Darin hat sich eine erfreuliche Wandlung vollzogen. Die Kultur, die alle Welt belebt, hat auch dem Lande ihre Segnungen mitgeteilt. Unsere ländlichen Musikkapellen bemühen sich auch, die künstlerische Seite der Musik zu erfassen. So kam es, daß gestern das erste Musikfest hier abgehalten werden konnte. Am frühen Morgen wurde unsere Stadt durch die Klänge eines flotten Marsches geweckt. Und dann hörten die Musiklänge den ganzen Tag hindurch nicht mehr auf. Der Mittag fand die Einwohnerschaft und die vielen Festgäste als Zuhörer eines Promenadenkonzertes auf dem Marktplatz. Der Festzug setzte sich um 2 Uhr vom Bahnhof aus in Bewegung. Nicht weniger als sieben Musikkapellen nahmen daran teil, außerdem der Gemeinderat und sämtliche hiesigen Vereine. Außer der hiesigen Stadtkapelle unter der Leitung ihres Altmeisters Herrn Gg. Jacoby, nahmen an dem Feste teil die Stadtkapellen von Creglingen und Mergentheim, der Orchesterverein Künzelsau, der Musikverein Langenburg die Musikkapellen von Blaufelden und Markelsheim. Auf dem städtischen Sportplatz angekommen, begrüßte Herr Fach jr., Dreischwingen, die Festteilnehmer. Er dankte vor allen Dingen dem unermüdlichen Dirigenten der hiesigen Stadtkapelle, Herrn Gg. Jacoby, für alle Mühe, welche er auf das Werden derselben verwendete, dankte dem Gemeinderat für die Förderung der Kapelle und des Festes, dankte vor allem auch den fremden Kapellen, welche zur Verschönerung des Festes gekommen waren, und dankte den zahlreichen sonstigen Festteilnehmern aus Nah und Fern. – Herr Gemeinderat Kiesecker überbrachte den Gruß der Stadt. Dann kam die Musik zu ihrem Recht. Es war ganz gute Musik, welche geboten wurde. Hervorheben möchten wir aus der äußerst reichhaltigen Darbietungsfolge die Ouvertüre zum Kalifen v. Bagdad (Mergentheim), die Ouvertüre Mignamette (Creglingen), die Post im Walde mit Solo des Herrn Schwabe (Künzelsau), Ferbeliner Reitermarsch mit Fanfaren (Langenburg), Trompeterliebling (Markelsheim), Frühlingsblütengarrotte (Blaufelden) und Trinkliederpotpourri (Niederstetten). Es war also eine Darbietungsfolge, welche sich sehen und hören lassen konnte. Zum Schlusse überreichte Herr Fach allen Vereinen ein Andenken der hiesigen Stadtkapelle. Unter frohen Klängen zogen dann die einzelnen Musikkapellen der Stadt zu, um dort noch einige gemütliche Stunden zu verleben, bis Eisenbahn und Automobile die beliebten Gäste unserer Stadt entführten. Abends fand ein Ball im Löwensaale statt, welche einen einträchtigen und vergnügten Verlauf nahm. Unser gestriges Fest hat gezeigt, daß unsere ländlichen Musiker hohe Ziele ins Auge fassen. Auch ihre Tätigkeit ist ein Stück des Gemeinwohles, sie führt auch das Land der großen Kultur nahe und trägt dazu bei, das Leben auch auf dem Lande angenehm zu gestalten. Denn immer wird Wilhelm Busch recht behalten, wenn er sagt: "Musik bereitet schöne Stunden."

Vaterlandsfreund, 24. 8. 1927