Brief aus Niederstetten.
Schon seit Jahren beschäftigt sich die Einwohnerschaft mit verschiedenen Problemen, wie Krankenhaus- bezw. Schulhaus-Neubau, Vorbachkorrektion. Anscheinend soll die letztere als erstes in die Tat umgesetzt werden. Ueber die Notwendigkeit kann man geteilter Meinung sein. Da es aber unter der Signatur "Notstandsarbeiten" zur Ausführung kommen soll, läßt sich weniger darüber sagen. Wenn schon die Korrektion durchgeführt wird, so dürfte doch mit Bestimmtheit anzunehmen sein, daß bei dieser Gelegenheit ein Freibad eingebaut wird mit Schwimmgelegenheit. – Früher oder später wird aber wohl der Bau eines Schulhauses akut werden. Denn so wie die derzeitigen Schullokale untergebracht sind, kann es kaum für alle Zeiten bleiben. Man denke nur an die Räume der Gewerbe- und Realschule! Wenn noch nicht gleich, so wird doch die Zeit kommen, wo das achte Schuljahr zur Durchführung kommt. Wie soll es dann in der evangelischen Volksschule werden? – Nun aber noch eine andere Frage: wie wäre es, wenn man den Plan, die Realschule weiter auszubauen und die Anstellung einer zweiten Lehrkraft ernstlich ins Auge fassen würde? Dann wäre zweifellos eine Lehranstalt geschaffen, die nicht nur für die hiesige Bevölkerung, sondern auch für die weitere Umgebung von Vorteil wäre. Ueber die Dürftigkeit des gegenwärtigen Lokals der Gewerbeschule ist kein weiteres Wort zu verlieren, und wenn man an eine eventuelle Ausdehnung des Gewerbeschulverbandes Niederstetten denken wollte, erst recht nicht. – Wenn bezüglich der evang. Volksschule gesagt wird, unsere Vorfahren seien schon vor 100 Jahren dort unterrichtet worden und die Räume hätten genügt, so ist keineswegs zu glauben, daß dies der Weisheit letzter Schluß ist. Die schulärztlichen Untersuchungen, die man früher eben nicht hatte, haben Ergebnisse, die nicht immer zugunsten der Unterrichtsräume sprechen. Man stelle sich nur die Zahl der Kinder vor, die Brillen tragen müssen! Alle diese Umstände reden dem Bau eines Schulhauses ganz gewaltiges Wort und nicht zuletzt sei hiebei an die Wohnungsfrage gedacht. – Der Bau eines Krankenhauses ist wohl nicht weiter zu erörtern. Aber – aber, wo kommen die Mittel dazu her? Vielleicht findet sich gelegentlich ein treuer Landsmann irgendwo, der helfen einen Grundstock schaffen könnte. Mehr noch ist schließlich daran zu denken, ob nicht durch Zeichnungen, die im Bedarfsfalle eingezahlt und mäßig verzinst werden, der erste Schritt der Wirklichkeit entgegen getan wäre. Es müßte doch eventuell mit Hilfe des Staats und des Bezirks zu rechnen sein, wenn man von anderwärts liest, daß der Staat hunderttausende von Mark für gewisse Bauten zur Verfügung hat. – Wie man hört, hat ein Landsmann Mittel gespendet zur Ausschmückung des Stadtbildes. Das ist sehr anerkennenswert. Aber keinen besonderen Reiz haben einzelne Straßenzüge unserer Stadt durch den Umbau der elektrischen Leitung erhalten. Wäre das nicht anders möglich gewesen, bezw. kann künftig einiges ästhetisches Empfinden maßgeblich sein?

Vaterlandsfreund, 2. 11. 1926