Bericht über die letzten Kriegstage in Niederstetten.
Bereits am Gründonnerstag, den 29. März 1945 konnte man auf der nahen Kaiserstrasse grössere Truppenverbände auf dem Rückzug in Richtung Blaufelden feststellen. Zur gleichen Zeit setzte auch der Rückzug durch Niederstetten ein und zwar von der Richtung Kaiserstrasse, Pfitzingen, sowie vom Tal herauf in Richtung Rothenburg. Es war ein ununterbrochener Zug von Wehrmachtsteilen aller Art, Verwundete, Gefangenenkolonnen, Zivilisten mit Sack und Pack, Volkssturmangehörige aus allen Gegenden Westdeutschlands, Viehherden usw. Die einzelnen Verbände verlangten ständig Quartiere, die teilweise nur auf Stunden oder auch aus Furcht vor dem Feind überhaupt nicht belegt wurden.
In der Woche vom 1. - 8. April 1945 waren verschiedene Feldschlächtereien; Feldbäckereien usw. hier stationiert. Diese hatten die Aufgabe, die in westlicher Richtung liegenden kämpfenden Truppen zu versorgen. Meistens sind jedoch auch diese Verbände‚ ohne ihre Aufgabe erfüllt zu haben, eilends verschwunden. Verschiedene Kommandos beschlagnahmten Kraftfahrzeuge, Fahrräder, Fahrzeuge aller Art, Pferde, Groß- und Kleinvieh, sowie Lebensmittel.
Die sich auf der Flucht befindlichen Truppen befanden sich meistens in grösster Unordnung. Es galt unwillkürlich das Wort "Mit Mann und Ross und Wagen hat sie der Herr geschlagen". Nur eine Infanterieeinheit befand sich noch in tadelloser Ordnung: Der Einheitsführer hoch zu Ross, die Mannschaft in bester Marschordnung mit Gesang.
In Laufe der angeführten Woche wurden auch die hier beschäftigten Gefangenen abtransportiert, die meisten von ihnen flüchteten jedoch bei Nacht und kamen wieder hierher zurück, meistens hielten sie sich den Weinberghäuschen der Umgebung auf. Die Baukompanie, welche den Flugplatz in den vorangegangenen Monaten zu einem Einsatzhafen hätte ausbauen sollen, zog ebenfalls in Richtung Crailsheim ab. Der hiesige Volkssturm sollte ebenfalls anfangs dieser Woche abrücken, er weigerte sich jedoch, das zu tun. Diese Weigerung führte dazu, daß viele Volkssturmeinheiten der umliegenden Ortschaften, bezw. des Kreises Mergentheim nur bis nach Niederstetten marschierten und hier liegen blieben, um nach 2 Tagen wieder heimwärts zu marschieren. Als letzter Termin zum Abmarsch des hiesigen Volkssturmes wurde seitens der Kreisleitung Bad Mergentheim der Freitag, den 6. April 1945 früh 2 Uhr bestimmt. Nur ein kleiner Teil hat diesem Befehl Folge geleistet, aber auch dieser kam nur bis nach Blaufelden. Dort wurden die Volkssturmangehörigen von amerikanischen Truppen überrascht und begaben sich wieder nach Niederstetten zurück.
An dem genannten Tage früh um 3/4 2 Uhr begann die erste Beschiessung von Niederstetten, Schuß auf Schuß wurde in einem Abstand von ca. 10 Minuten auf Niederstetten abgegeben. Die Beschießung dauerte bis vormittags um 5 Uhr. Die erste Granate explodierte unterhalb des Wohnhauses des Bürgermeisters. Viele Dächer wurden durch den Beschuß beschädigt, meistens leichterer Art. Verwundete oder Todesopfer gab es nicht.
Am Freitag Vormittag nahmen viele Einwohner auf Grund des Beschusses Zuflucht in das Tunnel, in dem Eiskeller im Alten Berg und in den Wasserabzugsgräben der Eisenbahn. Samstags wurden noch einzelne Schüsse auf Niederstetten abgegeben, auch der Rückzug der deutschen Truppen hatte nachgelassen, nur noch einzelne Einheiten setzten sich ab und nahmen teilweise Stellung in der Nähe von Niederstetten. Im Laufe der angeführten Woche wurde im Gasthaus zum Ochsen ein Auffangkommando eingesetzt. Von diesem wurden sämtliche Soldaten, die hier durchkamen und dem Kommando in die Hände fielen, wieder mit Waffen versehen und im nahen Kampfgelände bei der Kaiserstrasse eingesetzt. Samstags und Sonntags nahmen deutsche Truppen in den umliegenden Weinbergen (Scharfschützen), Artillerie beim Sportplatz und Rehhof Stellung ein. Man hörte, die deutschen Truppen wollen die Kaiserstrasse beherrschen, damit die amerikanischen Truppen, die bereits bei Mergentheim standen, keinen Nachschub mehr erhalten sollten. Nachts hörte man auch das Rollen der Panzer auf der Kaiserstraße. Auch die Schüsse kamen immer näher, sodaß man am Sonntag, den 8. April 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen rechnete. In der Nacht vom 7. - 8. April war schwächerer Beschuß auf Niederstetten, der Sonntag (8. April) war auffallend ruhig. Nachmittags zwischen 1 und 2 Uhr Beschuß durch Granatwerfer aus der Richtung Eichhof. Es entstanden verschiedene leichte kleine Brände, die sofort gelöscht wurden, dagegen konnte dar Brand des Scheuern- und Stallgebäudes des Karl Rieger nicht mehr gelöscht werden, das Gebäude ist total abgebrannt. Nachmittags noch einzelne Schüsse und Nachts stärkerer Beschuss.
Im Städtchen befanden sich nur wenige Soldaten, es waren noch einige bespannte Einheiten hier im Quartier, teilweise gehörten diese zu Munitionskolonnen, teilweise führten sie das Gepäck der Kampftruppen bei sich. Falsch ist grundsätzlich die Behauptung, die SS hätte Niederstetten verteidigen wollen, lediglich im Schloss befanden sich noch ca. 10 SS-Männer, die übrigen waren in Adolzhausen und in den Waldgebieten entlang der Kaiserstrasse eingesetzt.
Samstags, Sonntags und Montag-Vormittags verstärkte Tätigkeit der feindlichen Beobachtungsflieger. Montags früh war es im allgemeinen ziemlich ruhig. Kurz nach 8 Uhr sah man plötzlich aus der Südsüd-östlichen Richtung feindliche Flieger auf Niederstetten zufliegen. Die Flieger warfen schwere Bomben, Phosphorbomben und gaben Bordwaffenbeschuß auf die Gebäude und die Einwohner. Diese Angriffe wurden bis nachmittags um 2 Uhr 3 Mal wiederholt.
Die Versuche der Feuerwehr und der Einwohnerschaft, Löscharbeiten durchzuführen, waren zwecklos, da durch die Zerstörung der elektrischen Leitung die Wasserleitung lahm gelegt war, auch wurden viele Feuerwehrschläuche durch das Feuer und durch den Einsturz der Gebäudemauern zerstört. Sobald die Motorspritze in Tätigkeit gesetzt wurde, erfolgte Beschuß durch die Artillerie. Niederstetten brannte gegen die Nachmittagsstunden an allen Ecken. Wenig beherzte Männer versuchten immer wieder zu löschen, im übrigen konnte jedoch eine Gleichgültigkeit beobachtet werden, denn jeder stand auf dem Standpunkt, daß es keinen Wert mehr habe, etwas zu unternehmen. Viele saßen im Tunnel und Eiskeller und machten keinerlei Anstellungen, aus den Gebäuden und aus den Kellern etwas zu bergen.
Bis gegen Abend war Niederstetten ein Flammenmeer, das Neue Schulhaus, sowie das Lagerhaus wurden abends noch beschossen und fielen ebenfalls der totalen Vernichtung anheim.
In der Nacht vom 9. auf 10. April erfolgte auf Niederstetten von allen Seiten starker Beschuß, es war selten ein Gebäude vorhanden, das keinen Schaden davongetragen hatte. Die meisten Einschläge konnten am Alten Berg, in der Nähe vom Rehhof, sowie hauptsächlich in dem Stadtwald beobachtet werden.
Am Morgen des 10. April brannte das grosse Anwesen "Gasthaus zur Post" ab. Die paar Männer, welche die Post retten wollten, konnten nicht mehr in das Gebäude eindringen, da dieses verschlossen und völlig verlassen war. Nach gewaltsamer Öffnung der Haustüre war ein Vordringen nicht mehr möglich, weil das Treppenhaus bereits ausgebrannt war. Es gelang jedoch, das Feuer auf das Gebäude der Post zu beschränken, um die nächstliegenden Gebäude vor einer weiteren Zerstörung zu bewahren.
Von amerikanischen Truppen war immer noch nichts zu sehen. Im Schloss waren diese am 11. April vormittags eingezogen, während im Städtchen die ersten Amerikaner am 12. April nachmittags sich sehen liessen. Bis zu diesem Zeitpunkt kamen immer wieder aus den Weinberg im Alten Berg Schüsse usw. Mit dem Erscheinen der ersten amerikanischen Patrouille rückten die letzten deutschen Truppen ab.
Bemerkt wird noch, daß die erste Bombe das Rathaus total vernichtete.
Nach einigen Tagen kamen die amerikanischen Behörden. Die Brücken an der Straße nach Vorbachzimmern und Oberstetten wurden am 7. April gesprengt. Die geplanten Panzersperren am Umrängle, bei der Eisenbahnunterführung und an der Vorbachzimnernerstrasse wurden nicht ausgeführt. In hiesiger Stadtgemeinde wurden trotz der grossen Zerstörungen eine grössere Anzahl amerikanischer Truppen einquartiert. Die ersten Kampftruppen benahmen sich in jeder Beziehung tadellos, während die von Ende Mai bis September hier anwesende Einheit sich nicht im besten Licht zeigte.
Über die Zerstörungen und über die von der Stadtverwaltung getroffenen Massnahmen ist noch folgendes zu berichten:
Die Stadtgemeinde Niederstetten hat in der Zeit vom 29. März bis 11. April 1945 die Schrecken des Krieges mitgemacht, wie dies wohl keine Gemeinde des Kreises Mergentheim erlebt hat. Während dieser Zeit ist Niederstetten und seine Einwohnerschaft arm und das Elend gross geworden.
Ein grosser Teil der Bevölkerung wurde seiner ganzen Habe einschliesslich der Gebäude beraubt. Die Hälfte des früher so schmucken Städtchens ist ein Trümmerhaufen geworden. Die noch vorhandenen Gebäude sind zum allergrössten Teil stark beschädigt, es ist kaum ein Gebäude vorhanden, das ohne grösseren Schaden ist. Ein Teil des Viehs wurde beschlagnahmt und abgeschlachtet. Ein grosser Teil ist verbrannt. Grössere Mengen von Kartoffeln, Mehl und sonstigen Lebensmitteln wurden beschlagnahmt oder sind ebenfalls verbrannt. Die Wohnungen wurden mehrmals geplündert, dabei sind besonders die Lebensmittel abhanden gekommen. Ein grosser Teil der Bevölkerung hat nur das gerettet, was er auf dem Leibe trug.
Acht Tage lang musste die Einwohnerschaft im Eisenbahntunnel, im j a. Schlosskeller, im sogenannten Eiskeller, in den Wasserabzugsgräben unter der Eisenbahnlinie oder im freien Feld zubringen. Während dieser Zeit lag Niederstetten ständig unter starkem Beschuss. Vier Fliegerangriffe waren die Ursache starker Brände ganzer Ortsteile. 18 Menschenleben haben diese schweren Tage gefordert. Die Stadt war ohne Strom und ohne Wasser.
Das Schmuckstück der Stadtgemeinde, das Rathaus, war das Ziel der ersten schweren Bombe, die niederging. Vorhanden ist nur noch ein Schutthaufen. Der Stolz der Gemeinde, die neue Schule, wurde ein Raub der Flammen. Das grosse Lagerhaus mit der eingebauten Mühle und einschliesslich ca. 30 000 Zentner Weizen ist niedergebrannt.
Völlig abgebrannt sind folgende Gebäude:
Jäger Emma Wohnhaus und Scheuer,
Rieger Karl Scheuer und Stall,
Melber Karl Scheuer,
Das Rathaus,
Gerlinger Rösle und Gasthaus z. Post samt Scheuer und Garage,
Marquardt Reinhold Gasthaus z. Krone samt der früheren Brauerei,
Kleinhanß Christian Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Herz Geschwister Wohnhaus und Scheuer,
Seybold Hans Wohnhaus,
Thumm Wilhelmine (Scheu) Wohnhaus und Scheuer,
Stadtgemeinde Das Braunsche Haus,
Grupp Berta, Wtw. Wohnhaus mit Lagerschuppen,
Bühler / Amend Wohnhaus,
Streng Gottlob Wohnhaus, Scheuer und Lagerhaus, Federolf Friedrich Wohnhaus,
Grieser Georg, Wohnhaus und Scheuer,
Blumenstock Otto Wtw. Wohnhaus und Werkstatt,
Thomas Johann Wohnhaus mit Bäckerei,
Herz Sofie, Wtw. Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Stadtgemeinde Wohnhaus mit Scheuer (Wolfshaus),
Stadtgemeinde Wohnhaus mit Nebengebäude (Reis'sche Haus),
Theurer Babette, Wtw. Wohnhaus und Scheuer,
Kleinschrot Marie Wohnhaus,
Ludwig Karl Wohnhaus,
Stegmaier Friedrich Wohnhaus,
Scharpf Hermann Wohnhaus und Bäckerei,
Pflüger Geschwister Wohnhaus,
Dürr (Köhler) Wohnhaus,
Busch Marie, Wtwe. Wohnhaus,
Nörr Eugen Gasthaus z. Adler, Wohnhaus,2 Scheuern u. Stall,
Derselbe Nebenwohnhaus und Scheuer,
Stadtgemeinde Neue Schule,
Linder Johann Scheuer,
Schätzle Anna Wohnhaus,
Stadtgemeinde 2 Wohngebäude,
Schmieg Alois Gasthaus z. Löwen, Wohn- u. Wirtschaftsgebäude und Nebenwohngebäude,
Linder Karl Wohnhaus und Scheuer,
Friederich Karl Wohnhaus und Nebenwohngebäude,
Bauer Otto Wohnhaus (beim Schimmelturm),
Wild Carl Scheuer mit Stall (Farrenstall),
Linder Wilhelm Scheuer mit Stall, .
Weber Albert i Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Brumm Geschwister Wohnhaus,
Schunann Friedrich alt Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Herrmann Albert Wohnhaus,
Hofmann Wilhelm 2 Wohnhäuser mit 2 Scheuern und Stall,
Dümmler Witwe Wohnhaus,
Reiss Johann Wohnhaus,
Jäger Otto Wohnhaus mit Scheuer,
Horn Karl Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Kettemann Wilhelm Wohnhaus,
Hütter Friedrich Wohnhaus
Geidel Georg Wohnhaus,
Rathgeber Leonhard Wohnhaus,
Zugenbühler Martin, Wohnhaus,
Leyrer Karl Wohnhaus und Scheuer,
Kleinheinz Christian Wohnhaus,
Stier Wtwe. Wohnhaus,
Hopf Georg Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Rummler marie, Wtw. Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Klein Albert Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Baumer, Witwe Wohnheus,
Schmid Gebhardt Wtw. Wohnhaus,
Stadtgemeinde Bücherei und Scheuer,
Rupp Witwe Wohnhaus,
Wagner Charlotte Wohnhaus und Scheuer,
Linder Johann Wohnhaus und Scheuer,
Schumann Emma Wtw. Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Dietz Karl Wohnhaus,
Kästle Hans Wohnhaus,
Lehr Friedrich Wohnhaus,
Kurz Karl Wohnhaus und Scheuer,
Eisenmann Georg Wtw. Wohnhaus,
Fischer Richard Wohnhaus mit Werkstattgebäude,
Rupp Jakob Wohnhaus mit Stall,
Burkert Karl Wohnhaus mit Stall,
Hofmann Georg Wohnheus mit Stall,
Küstner Friedrich Wohnhaus mit Scheuer und Stall,
Ruck Heinrich Doppelwohnhaus,
Bürklein Georg Wohnhaus,
Stadtgemeinde Wohnhaus,
Hagelstein Leonhard Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Dertinger Geschw. Wohnhaus,
Schürger Heinrich Wohnhaus,
Ziegler Georg Wohnhaus und Nebengebäude,
Lagerhaus,
Metzger Wilhelm Wohnhaus, Scheuer und Stall,
Blumenstock Karl Doppelscheune,
Baumann Gottlob Scheuer,
Nägele Wilhelm, Wtw. Wohnhaus,
Stadtgemeinde Fabrikgebäude des Robert Fey.
Selten sind Gebäude vorhanden, welche keinen Volltreffer durch Artillerie-Beschuss erhielten.
Die Namen der Toten sind:
Rieger Karl, Landwirt,
Dowedeit Erna, Hausfrau (aus Essen),
Fug Marie, Landwirtin,
Jäger Emma, Landwirtin,
Jäger Erna, Landwirtstochter,
Schüler Wilhelm, Buchhalter (aus Saarbrücken),
Rebske Otto, Fabrikdirektor (aus Saarbrücken),
Fetzer Sofie, Hausfrau (Wäscherei),
Ludwig Günther,
Räuber Käthe, Schülerin (aus Duisburg),
Köhnlein Erich, Schüler,
Huppert Wilhelm (aus Saarbrücken),
Rummler Georg (Landwirt),
Schulz, Helene, Landwirtstochter,
Sinnder Emma, Landwirtstochter.
Beim Verladen der zurückgebliebenen Munition mussten ferner ihr Leben lassen
Schmidt Gottlob, Sattlermeister, der für die Stelle als Polizeidiener und Hilfspolizist vorgeschlagen war,
Müller Eugen, Buchdrucker,
Müller Hermann, Friseur.
Groß sind die Schäden in Gärten, Wiesen, Äckern und Weinbergen. Schwer sind die Sorgen wegen der Unterbringung der Obdachlosen, der Verpflegung der Einwohnerschaft und die Versorgung des Viehs.
Nachdem das bisherige Rathaus vernichtet war, wurde die Gemeindeverwaltung in provisorischer Weise in einem Saal des alten Schulhauses eingerichtet. Die erste Aufgabe der Stadtverwaltung war, die Versorgung der hiesigen Gemeinde mit
1. Brot und Mehl,
2. Wasser und Strom,
3. Unterbringung der Obdachlosen,
4. Versorgung der Obdachlosen mit Wäsche usw.
5. die Brennholzversorgung.
Um diese Aufgaben durchführen zu können, wurden vom Bürgermeister verschiedene Kommissionen eingesetzt.
Die vorhandenen Vorräte der Bäcker an Mehl ermöglichten die Versorgung der Bevölkerung auf die Zeitdauer von ca. 20 Tagen sicherzustellen. Die von den Bauern abgelieferte Milch wurde, nachdem der Strom . zunächst ausblieb, als Frischmilch verteilt. Die Wasserversorgungsanlage wurde instandgesetzt. Nach wenigen Tagen schon war die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser möglich, wobei es sich als grosser Vorteil herausstellte, daß in der Pumpstation der früher benutzte Diesel-Motor noch vorhanden war.
Die Unterbringung der Abgebrannten ging mit einigen Ausnahmen nahezu reibungslos vonstatten, wobei allerdings von Anfang an feststand, daß diese Unterbringung nur eine vorläufige sein kann und dass ein grösserer Teil der nach hier umquartierten Personen in denjenigen Gemeinden untergebracht werden muss, welche nicht beschädigt wurden. Entsprechende Anträge wurden beim Herrn Landrat in Bad Mergentheim gestellt. Die Versorgung der Stadtgemeinde mit elektrischem Strom ging verhältnismässig rasch von statten. Dadurch wurde auch die Wiederinbetriebnahme der hiesigen Rahmstelle ermöglicht und die Versorgung der Bevölkerung mit Fett war dadurch gesichert. Die abgebrannten hiesigen Einwohner wurden mit Ausnahme von einzelnen Familien ohne Mitwirkung der Stadtverwaltung untergebracht. Auch die Umquartierten, deren Anständigkeit bekannt war, wurden ohne weiteres gerne aufgenommen. Schwierigkeiten entstanden nur bei der Unterbringung einiger, besonders grösserer Familien, die dann in der alten Schule und in der Turnhalle untergebracht wurden. Dank dem Entgegenkommen der Kreisstelle des Deutschen Roten Kreuzes in Bad Mergentheim war es möglich, für die hiesigen Abgebrannten eine grössere Menge an Bettwäsche und teilweise auch an gebrauchten Frauenkleidern und Hosen für Männer zur Verfügung zu stellen. Die Bestände an Schuhwaren, Eisenwaren, Geschirr, Lebensmitteln usw. bei den hiesigen Geschäftsleuten wurden beschlagnahmt, damit eine geordnete Zuteilung erfolgen konnte. Für diejenigen Abgebrannten, welche keine eigene Kochgelegenheit hatten, wurde in der alten Schule eine Gemeinschaftsküche eingerichtet.
Nach längeren Verhandlungen und Erhebungen wurde durch die amerikanische Militärregierung am 20. April 1945 als Bürgermeister der hiesigen Stadtgemeinde Herr Hauptlehrer Huss von hier eingesetzt. Die seitherigen Angestellten der Stadtverwaltung wurden zur Weiterarbeit verpflichtet und der frühere Bürgermeister Weber hat sich ebenfalls zur Mitarbeit bereit erklärt und hat die Versorgung der hiesigen Bevölkerung mit Lebensmitteln übernommen. Dank einer guten Zusammenbeit in der Stadtverwaltung ist es gelungen, die ersten Nöte, die durch das Kriegsgeschehen in der hiesigen Stadtgemeinde entstanden sind, zu lindern. Auch künftighin wird das Bestreben des Bürgermeisters und der übrigen Beamten und Angestellten sein, alles daranzusetzen, um die anfallenden Arbeiten zum Segen der hiesigen Stadtgemeinde durchzuführen und die über Niederstetten hereingebrochene Not im Laufe der Zeit zu lindern.
Möge die Zukunft unser Niederstetten vor solch schweren Stunden und Tagen, wie diese während den-schweren Kriegstagen erlebt wurden, bewahren und möge das Schicksal der hiesigen Stadtgemeinde gnädig sein, damit der Aufbau des abgebrannten Teiles von Niederstetten in Bälde durchgeführt werden kann.
Stadt Niederstetten
Der Bürgermeister
Weber
[Original: Hauptstaatsarchiv Stuttgart J 170 Bü 12 [Niederstetten]. Frdl. Hinweis von Anette Feucht]