() Niederstetten 3. März. Zu den von der Landbevölkerung mit größter Entrüstung aufgenommenen Sparvorschlägen des Herrn Sparkommissars gehört die vorgeschlagene Aufhebung einer großen Reihe von kleinen Real- und Lateinschulen auf dem Lande. Ein großer Teil dieser Schulen verdankt ihr Entstehen privater Initiative, es war der Drang nach Wissen und Bildung auf dem Lande vorhanden und das Land strebte darnach, mit den Städtern auf eine Bildungsstufe zu kommen, damit der Städter den Landbewohner nicht wie früher als „Dummen Bauern“ ansehen möge. Der Besuch dieser Schulen war immer gut. Handwerker, Landwirte, Beamte, kurz alle Bevölkerungskreise schickten ihre Kinder in viele Schulen. Die Schulen wurden meistens von den Gemeinden übernommen, welche sie auch bis heute noch unterhalten. Der Staat trägt nur 40 Prozent am Lehrergehalt. Die Folgen der Einrichtung dieser Schulen waren ausgezeichnete. Der Durchschnittsbildungsstand der Landeinwohner wurde gehoben und bot eine gute Grundlage für das Verständnis der deutschen Literatur, der Geschichte, der Naturwissenschaften, letzteres besonders durch den Unterricht in Physik und Chemie. Denn diese Fächer bilden die Grundlage für das Verständnis der modernen, technischen Kultur. Die gehobene Bildung führte durch den Sprachunterricht auch in das Geistesleben anderer Völker. Dabei hat das Land keineswegs den Zudrang zu den Universitäten besonders gesteigert. Die meisten Schüler gehörten dem Mittelstand an, ihre Eltern konnten das nötige Geld für das Abitur an auswärtigen Schulen und das folgende Universitätsstudium nicht aufbringen. Sie wollten ihren Söhnen lediglich eine gute Bildungsgrundlage schaffen und gaben sie dann in bürgerliche Berufe oder den mittleren Beamtenstand. Immerhin konnte ein kleiner Prozentsatz auch studieren und sich den freien Berufen oder dem höheren Beamtenstand zuwenden. Aber den meisten der letztgenannten Gruppe wäre das Studium unmöglich gewesen, wenn sie nicht die ersten drei oder vier Klassen der Real bezw. Lateinschule ohne gewisse Kosten hätten besuchen können. Dies soll nun alles mit einem Male aufhören. Die kleinen Real- und Lateinschulen sollen aufgehoben werden. Die erste schlimme Folge wäre eine geistige Verarmung des Landes. Wie die kleinen Realschulen einen geistigen Fortschritt brachten, so wäre bei ihrer Aufhebung der geistige Rückschritt unausbleiblich. Es wäre den Bauern u. Gewerbetreibenden, sowie den niederbesoldeten Beamten schon unmöglich, ihren Kindern eine gehobene Bildung zukommen zu lassen, geschweige denn, ihre Kinder studieren zu lassen. Die Landbevölkerung ist als Steuerquelle gewiß nicht zu verachten. Wenn wir ab und zu lesen, was der Staat auf jeden Tübinger Studenten oder jeden Studenten an der Technischen Hochschule zubezahlt, dann wissen wir auch, daß die Landbevölkerung ihr wohlgerüttelt Maß daran bezahlt. Die Landbevölkerung bezahlt an Kulturaufgaben, welche ihr in nichts zu gute kommen wie z. B. an dem Landestheater in Stuttgart. Das alles muß sein. Aber es muß auch sein, daß der Landbevölkerung ihre geistigen Güter gewahrt bleiben und daß nicht durch Sparmaßnahmen Bildung, Studium und Beamtenstellen noch mehr als bisher ein Privilegium der Stadtbevölkerung werden. Zudem würde eine Aufhebung einer kleinen Realschule keine Ersparnis, sondern eine große wirtschaftliche Mehrausgabe, eine neue Last für die Landbevölkerung bedeuten, wenn sie ihren Kindern doch eine höhere Bildung zu Teil werden lassen wollten. Eine Realschule mit etwa dreißig Schülern bedeutet im Durchschnitt für eine Landgemeinde eine Etatausgabe von etwa 5000 M. Müßten nun diese 30 Schüler vielleicht nach einer 40 Kilometer entfernten Schule täglich mit der Bahn fahren und dort sich verpflegen, so bedeutet dies für jeden Schüler einen Mindestaufwand von 700 M jährlich, es wäre also ein Gesamtaufwand von 21 000 M vorhanden. Dann wäre noch folgender Umstand zu beachten: Das Kind eines Bauern kann wohl täglich drei oder vier oder fünf Kilometer nach dem Ort einer kleinen Realschule und heimwärts zurücklegen. Es kann aber nicht diesen Weg machen und noch 40 Kilometer weit fahren, weil es, um zu den Frühzügen zu kommen, fast mitten in der Nacht aufstehen müßte und spät abends erst wieder heimkäme. Die Aufhebung der kleinen Real- und Lateinschulen auf dem Lande ist daher gleichbedeutend mit dem Ausschluß des größten Teiles der Landbevölkerung von einer gehobenen Bildung. Auch die Stadtbevölkerung wird diese Benachteiligung des Landes nicht wünschen. Hoffentlich läßt die Regierung daher diese Anregung des Sparkommissars von vornherein unter den Tisch fallen und bemüht nicht erst den Landtag damit. Ein Landtag aber, welcher einer derartigen Maßnahme zustimmen würde, hätte sich die Sympathien der Ländbevölkerung aller Stände dauernd verscherzt.

() Niederstetten, 3. März. Kommenden Sonntag findet ein Konzert des Stadtorchesters Mergentheim in der Turnhalle statt; Stabführung Herr Fleckenstein. Schon der Name des Dirigenten bürgt für ein sorgfältig ausgewähltes Programm und für künstlerisch hochstehende Musik. Sowohl die Einwohner unserer Stadt als auch der Umgebung mögen sich diese gute Gelegenheit zu einem seltenen künstlerischen Genuß nicht entgehen lassen.

Vaterlandsfreund, Nr. 52, 4. 3. 1931