Öffentliche Sitzung der Spruchkammer Mergentheim
Aktenzeichen: 33/32/1296
Protokoll der öffentlichen Sitzung am 28. 1. 1948.
Gegenwärtig:
1. Oberlandesgerichtsrat a. D. Dro. Wolters, Bad Mergentheim als Vorsitzender,
2. Josef Frey, Laudenbach, Johann Klein, Vorbachzimmern – als Beisitzer –
3. Walter Theodor Kuhnert als öffentlicher Kläger,
4- Ursula Mücke als Protokollführerin
Zur mündlichen Verhandlung in dem Verfahren gegen Jakob Schroth, Bürgermeister i. R, geb. am 1. 12 1886, wohnhaft in Niederstetten, Krs. Mergentheim erschien bei Aufruf der Sache der Betroffene persönlich und sein Verteidiger Rechtsanwalt A. H Krohne, Bad Mergentheim.
Die vorgeladenen Zeugen wurden aufgerufen, mit dem Gegenstand des Verfahrens und der Person des Betroffenen bekannt gemacht, zur Wahrheitsangabe ermahnt und darauf hingewiesen, dass sie ihre Aussage auf Anordnung der Kammer zu beeiden haben. Hierbei wurden sie über die Bedeutung des Eides und die strafrechtlichen Folgen einer unter Eid unrichtig oder unvollständig erstatteten Aussage belehrt und darauf aufmerksam gemacht, dass der Eid sich auch auf die Beantwortung von Fragen über ihre Person und sonstiger Fragen bezieht, ferner dass unbeeidigte Aussage die gleichen strafrechtlichen Folgen nach sich zieht.
Die Zeugen wurden sodann aus dem Sitzungssaal entlassen.
Über die persönlichen Verhältnisse vernommen erklärte der Betroffene:
Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 25 und 27 J. Mein jetziges Einkommen beträgt 180.– bis 200.– RM monatlich. Mein Vermögen beträgt etwa 7000.– RM. Wurde wegen einem Darmleiden pensioniert und muss mich einer Operation unterziehen. Kriegsschäden: 10 000.– RM
Hierauf wurde die Klageschrift vom öffentlichen. Kläger verlesen.
Der Betroffene wurde befragt, ob er etwas auf die Klage erwidern wolle.
Er erklärte:
Hohes Gericht! Ich werde 62 Jahre alt und stehe zum ersten Mal als Angeklagter hier vor Ihnen. Meine Schulausbildung genoss ich zunächst an der Volksschule und dann auf dem Gymnasium. Nach meiner Berufsausbildung wurde ich 1912 in Billingsbach Krs. Crailsheim gewählt. Während des Krieges 1914-1918 verschiedentlich eingezogen und wegen eines Herzleidens 1917 entlassen. Als ich zu Hause war, kam eine Anordnung von Niederstetten und bat mich, Stadtvorstand in der Gemeinde zu werden. Meine Lehrzeit habe ich schon in Niederstetten verbracht. Ich habe mich um die Stadtvorstandstelle beworben und wurde auch mit Stimmenmehrzahl gewählt, und zwar wiederholt auf Lebensdauer. Im Jahre 1933 hatte ich eine Fülle von Aufgaben zu lösen. Ich führte eine Feldbereinigung durch. Wie mir damals mitgeteilt wurde, sollte ich aus meinem Amt entfernt werden, weil ich schon vor 1933 zum Schutz der jüdischen Familien gegen die jungen Leute vorgehen musste. Aber trotzdem wurde von der Gemeinde meine Belassung im Amt verlangt, um diese Maßnahmen weiterhin durchführen zu können und die Gemeinde zu schützen. Die israelitische Kultusgemeinde bat mich sogar, der Partei beizutreten, damit ich Einfluss auf die Parteikreise bekam. Ich sollte dadurch Unannehmlichkeiten abwenden, was mir auch oft gelang. Nachdem ich dann schon 20 Jahre im Amt war, habe ich den Beruf lieb gewonnen, darum wollte ich auch nicht aus dem Amte ausscheiden. Auf das NSKK stieß ich, weil ich einen Kraftwagen hatte und aus motorsportlichen Gründen. Die NSV musste ich nach meiner Versetzung nach Herrenberg übernehmen (1937). Diese war damals schon mit dem Rathaus verbunden, sie wurde mir einfach mit übergeben. Ich habe es übernommen, weil ich es einfach für eine soziale Hilfseinrichtung hielt. Ich habe bei der NSV nur die Gaben an die Bedürftigen überwacht. Die Ortsgruppe war viel zu groß und die Arbeiten wurden von anderen besorgt. Ich hatte als Bürgermeister Interesse daran, wer von der Öffentlichkeit und wer von der Kreis-Fürsorge und wer von der NSV unterstützt wird. Ich konnte oft feststellen, dass die gleichen Empfänger bei allen 3 Gruppen erschienen. Ich wollte eine gerechte Verteilung gewährleisten. Ich habe es so lange weitergeführt, bis es mir nicht mehr möglich war. Wegen Arbeitsüberlastung, da die meisten Hilfskräfte eingezogen wurden, habe ich das abgegeben, was mit meinem Amt am wenigsten etwas zu tun hatte. Darum gab ich die NSV ab. 1943 lehnte ich dies ab, da ich noch nebenbei 2 Gemeinden hinzubekam, darum war es mir einfach nicht mehr möglich, diese Funktion beizubehalten. Es wurde mir allerdings nicht gleich abgenommen, aber ich habe es praktisch nicht mehr weitergeführt.
Obmann im deutschen Gemeindetag:
Ich gehöre dem deutschen Gemeindetag schon seit seiner Gründung an, diese fand etwa im Jahre 1919 statt. Die Gemeinden fanden sich dort zusammen, das war etwa keine persönliche Mitgliedschaft. Die Gemeinde war Mitglied und ich habe die Interessen als Vertreter wahrgenommen. Lange vor 1933 habe ich Gemeindetag-Zusammenkünfte im Kreis Gerabronn und Crailsheim versehen und geleitet. Diese Zusammenkünfte musste ich auch als stellv. Obmann in Billingsbach führen. Dies war eine Hilfe für die Ortsvorsteher, in diesen Zusammenkünften gab man Belehrungen. Es waren mehr Dienstbesprechungen des Landrats. Ich habe mich mit dem Landrat immer abgewechselt. Den Beitritt zum Roten Kreuz hielt ich für eine Ehrenpflicht. Ich habe geglaubt, einer guten Einrichtung zu dienen. Dem deutschen Beamtenbund wurde ich wie jeder andere Beamte zugeführt, habe meine Beiträge bezahlt. Dem RLB gehörte ich als Ortsvorsteher und örtl. Leitung an.
Es wurde nun mehr in die Beweisaufnahme eingetreten:
1. Zeuge: Heinrich Schumm, erklärte zur Person: ich bin 62 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen seit dem 17. Lebensjahre. Ich habe bereits alles schriftlich eingereicht. Er kam als junger Mann von 16 Jahren nach Niederstetten. Schon in seiner Lehrzeit hatte man ihn gern. Als wir einen Bürgermeister brauchten, ist er dann gewählt worden. Die Gemeinde war in jeder Beziehung mit ihm zufrieden, er war 27 J. Bürgermeister. Er wurde 2 mal mit Stimmenmehrzahl gewählt. Ich war 1922 mit ihm zusammen im Gemeinderat. Als dann die Nazis kamen, hatten diese nur noch Lausbubereien nötig. Ich war als Gemeinderat immer darauf aus, daß dies unterbunden wird. Der Bürgermeister hat mir da immer die Stange gehalten und sie wurden meistens bestraft. Diese Leute wurden aber von der Partei gestützt. Er hat sich dadurch den Hass der jungen Leute zugezogen. Dann wurden sie ausverschämt und es reichte nicht Niederstetten dazu, sondern es wurde auch noch Wildentierbach dazu geholt, um Hetzreden zu halten. Die Gemeinde war darüber aufgebracht und Schroth ist vorgetreten und hat zu diesem jungen Pfarrerssohn gesagt, da dies doch eine Kriegerehrung war, er solle doch endlich den Kranz niederlegen. In der Zeitung stand dann ein Artikel, dass ein Bürgermeister der heutigen Zeit den Sinn des Ganzen noch nicht begriffen hätte. Auf dem Schloss gab es noch solche Raudies und beim Rentamt waren sie angestellt. Diese haben gehetzt und geschürt. In der "Krone" hatten sie ihre Zusammenkünfte, dort wurde immer geschimpft und beim Umsturz stand dieser junge Fischer auf dem Rathaus und hat Ansprachen gehalten. Er fühlte sich schon als Bürgermeister. Aber der Umsturz vollzog sich doch noch nicht so schnell, wie es sich diese dachten. Der Polizeidiener bekam in der Krone immer wieder seine Schoppen und brachte dafür die Schriftstücke vom Rathaus in die Krone. Ich machte dem Bürgermeister davon Mitteilung und er stellte diesem eine Falle. Ich möchte damit die damalige Lage kennzeichnen. Er hatte in Niederstetten eine schwierige Lage, denn es gab Katholische, Evangelische und Juden, wie sollte er da Frieden halten. Als die Nazis dann kamen, ging die Hetze erst recht los. Ein Beamter musste sich dann schon in  Acht nehmen. Er war gezwungen, der Partei beizutreten. Er hat es bestimmt schweren Herzens getan. Wir haben ihm auch zugeredet. Ich als Geschäftsmann konnte mich da schon heraushalten, denn mir gefiel dies alles nicht. Schr. haben wir es nahe gelegt, beizutreten. Wir wollten Schroth unter allen Umständen als Bürgermeister behalten. Wenn wir einen nazistischen Bürgermeister bekommen hätten, wäre es der Gemeinde schlecht ergangen. Ich glaube auch, dass der jüdische Kreis es ihm nahegelegt hat. Er hat alle Teile gerecht behandelt. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als Parteimitglied zu werden.
Nachts ist mal vor seinem Haus eine Protestkundgebung vollzogen worden. Ich habe zum Fenster herausgeschaut, da er mein nächster Nachbar ist, da standen 6 - 8 junge Leute und haben "Pfaffen-" und "Judenknecht" aufgerufen. Auf der Hauptstraße aber standen etwa 30 junge Leute unter Führung des Polizeidieners Dodel. Dies sind Tatsachen.
Der Jude Bernheim ist ein gebürtiger Niederstettener Lehrersohn. Mit diesem war Schr. sehr befreundet und auch dies zog ihm wieder den Hass zu. Gerade dieser war ein großer Politiker, er hat oft Geld für die Gemeinde gespendet und diese Nazis konnten dies nicht sehen. Wie lange sich die beiden Herren noch geschrieben haben, weiß ich nicht. Später war natürlich diese Sache zu gefährlich. Mit dem Generaldirektor Dill war ich immer in Verbindung. Er sagt da auch, dass dies schon ein Grund sein wird, dass er dann nach Herrenberg versetzt wurde. Der Zustand war dann schon unerträglich und er wurde kommen. Nach Herrenberg versetzt. Man hört der allgemein, dass Schr. dort sehr beliebt war. In Niederstetten würde man es als kein Unrecht empfinden, wenn Schr. entlastet wird. Er hat alles getan, was ihm möglich war. Seine Amtsführung war nach seinem Parteieintritt nicht anders als wie zuvor. Ich war ja nach 1933 nicht mehr im Gemeinderat. Wenn er so mitgemacht hätte, wäre er bei den Nazis beliebt gewesen. Aber diese haben ihm immer Schwierigkeiten gemacht. Es war ihm nicht leicht, von Niederstetten zu gehen, da er ja dort sein Haus hatte und schon 20 Jahre an diesem Platz wohnte. Die Nazis hatten ihm das Leben sauer gemacht.
Auf Befr. d. öffentl. Klägers:
Es war Herrmann Fischer und hält sich jetzt in Tübingen auf, er ist noch beizeiten entwischt.
2. Zeuge: Mina Baumann, geb. Kirchheimer, erklärte zur Person: Ich bin 56 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betr. schon seit 40 Jahren. Ich wohnte in Niederstetten. Meine Schwestern waren mit ihm befreundet. Er kam als Angestellter nach Niederstetten. 1917 wurde er Bürgermeister. Ich kann ihm nur Gutes nachsagen. Er war sehr zuvorkommend und hilfsbereit und besonders zu meinen Glaubensgenossen (Juden). Es hat sich niemand über ihn beklagt, im Gegenteil die Juden gingen mit jedem Rat zu ihm. Ich kenne seine Beweggründe zum Parteieintritt. Er wurde ja dazu gezwungen. Bei der jüdischen Gemeinde war eine Beratung und weil man um den Bürgermeister bangte, kam man zu dem Entschluss, ihn aufzufordern, der Partei beizutreten. Er war ja für uns eine Stütze und man konnte sich auf ihn verlassen. Auch zu meinem Mann war er immer hilfsbereit. Er wurde gerade deshalb offen angefeindet. Er kam zwangsweise zur Partei und war kein überzeugter Nazi, er hat sich durch seine Handlungsweise viele Feinde zugezogen. Aktiv ist er nie geworden. Ich kann ihm nur Gutes und Edles nachsagen. Nach 1933 hat sich seine Amtstätigkeit nicht geändert, er war immer gerecht. Es gab drei Konfessionen in Niederstetten, es war schon schwer, gerecht zu handeln. Die Juden sind aber immer zu ihm gegangen und haben sich in Steuerangelegenheiten beraten lassen. 1937 ging es schon damit an, dass mein Mann seinen Beruf aufgeben sollte. Schr. kam dann fort, aber er hat ihn trotzdem weiter unterstützt und hat beim Ministerium ein gutes Wort für ihn eingelegt. Ich kann nur Lobenswertes sagen. Es wurde ihm dann ja nahe gelegt, wegzugehen, musste aber Niederstetten noch nebenbei betreuen.
3. Zeuge: Pfarrer Ernst Willi Göltenboth, erklärte zur Person: Ich bin 42 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen seit August 1934, da kam ich nach Niederstetten. Er war schon in der Partei. Ich habe dies alsbald bemerkt, denn ich gehörte ihr auch an. Von Aktivismus habe ich überhaupt nichts gemerkt. Wir haben bald herausgefunden, dass wir damals schon Gegner waren. Aus Unterhaltungen konnte ich dies feststellen. Zu den Versammlungen ging er gelegentlich, ich war auch nicht immer dort. Ich kann überhaupt nichts Nachteiliges sagen. Er war auch im Kirchengemeinderat, das war er schon, als ich kam und auch so lange wie ich dort war. Er ging zur Kirche, sowie seine Kinder und die gesamte Familie. Er hatte jeden Sonntag seinen Platz und dies war für die Gemeinde ein gutes Beispiel und wenn am Silvesterabend Kirche war, kam er mit dem Gemeinderat. Diese saßen dann an bestimmten Plätzen. Er hat mich auch oft vertreten, z. B. bei einer Feier der Diakonissen-Schwestern, als diese ihr 40 jähriges Bestehen feierten. Dort hielt er für mich eine Rede (1934). Wir hatten ein sehr gutes Einvernehmen. Es ergab sich auch damals die Frage, ob ein christlicher Kindergarten oder ein NSV-Kindergarten eingerichtet werden sollte. (1935) Da hat mich Schr. weitgehendst unterstützt und wir bekamen einen christlichen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, einen NSV-Kindergarten einrichten zu lassen. Seine Versetzung 1937 kam auch aus dem Grunde, da er mit der örtl. Parteiführung nicht einig war. Es gab da immer Widerstände. Die Gründe weiß ich nicht, aber er hat sich mir gegenüber immer geäußert. Ob dies aber der einzige Grund war, weiß ich nicht.
Der Betroffene:
Ich wurde von der Behörde kommissarisch versetzt. Ich hatte gewisse Hemmungen. Mit der Versetzung nach Herrenberg war es so: Ich hatte mich schon früher vor ungefähr 20 Jahren um diese Stelle in Herrenberg beworben. Nun war die ganze Gemeindeverwaltung in Unordnung geraten und durch meine Bewerbung von damals kam man nun wieder auf meine Person zurück. Der Gemeinderat und Landrat hatten sich nun an diese Bewerber gewandt. Dann wurde vom Ministerium meine Person herausgesucht, um dort Ordnung zu schaffen. Innerhalb eines Jahres war mir dies auch möglich. Ich erklärte auch gleichzeitig, dass ich zum 1. 5. 37 wieder nach Niederstetten zurückgehen will. Ich musste in Herrenberg wirklich sehr scharf vorgehen und hatte das ganze Jahr mit der Staatsanwaltschaft zu tun. Es war eine unerquickliche Arbeit. Nach Abgabe dieser Erklärung hatte ich mich wirklich in meiner Ansicht getäuscht. Von Herrenberg ging eine Abordnung nach Niederstetten und haben dann endlich meine Versetzung bestätigen lassen. So kam dann mein Weggang nach Herrenberg. In Niederstetten gab es immer Anfeindungen mit der Partei und dies hat auch dazu beigetragen, dass ich weggehen musste. Ich wäre lieber in Niederstetten geblieben. Von Niederstetten gingen immer Beschwerdebriefe ans Ministerium, diese waren ganz grundloser Art. Ich hatte dies alles satt und habe der Versetzung zugestimmt. Es war für mich keine Verbesserung, denn ich blieb im gleichen Rang.
Zeuge Göltenboth:
Ich kann nichts Gegenteiliges sagen.
4. Zeuge: Frau Rösle Gerlinger, erklärte zur Person: Ich bin 65 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Wir hatten seinerzeit das Gasthaus zur Post. Ich kenne den Betr. seit 1917. Ich kann nur Gutes berichten. Er ging halt wie die meisten Leute zur Partei. Es war auch höchste Zeit, dass er es tat, sonst wäre er nicht mehr im Amt geblieben. Nach 1933 ist es mit seiner Amtsführung nicht anders geworden. Ich habe nie gehört, dass jemand über ihn geklagt hätte. Er hat in der Partei nicht mitgemacht. Die Versammlungen wurden immer abgehalten, wenn gerade Markttag war. Darüber war der Bürgermeister sehr ärgerlich, weil dann die Geschäftsleute keinen Verdienst hatten. Er hat Pgs. nicht besser behandelt als die anderen. Er stand in einem sehr guten Ruf. 1937 wollte er dann nicht mehr bleiben, weil man von einem Lumpen selbst ein Lump genannt wird. Ich sagte ihm, er solle doch lieber hier bleiben.
5. Zeuge: Eugen Nörr, Gastwirt zum Adler erklärte zur Person: Ich bin 72 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betr. seit er in Niederstetten ist, auch schon aus dem Jahre 1917, als er auf dem Rathaus lernte. Schr. ist ein erstklassiger Bürgermeister. Wenn jemand Rat haben wollte, wurde er nie fortgeschickt. In einer Gastwirtschaft sind die Nazis auch immer zusammengekommen und haben geschrien, man soll doch den "Judenschulzen" zum Teufel jagen. Diese hätten ihn ja auch nur gewählt und nun soll er hingehen, wo er hin soll. Er hat nie einen Unterschied gemacht und jeden gleich behandelt. Er ist zuvorkommend in jeder Art und Weise. Er hat nie einen Nazi bevorzugt. Es ist schon möglich, dass sie von oben herab keine Ruhe gelassen haben. Er ging ungern zur Partei. Er kam auch zu mir in die Wirtschaft und wir haben darüber gesprochen, ich war der einzige Gastwirt, der kein Nazi war. Er sagte immer, er will gar nichts davon wissen. Fischer und Thomas und noch andere haben ihm immer zugesetzt und wegen diesen ist er auch dann weggegangen. Ich kenne Herrn Schr. und er hat gedacht, wenn er geht, hat er endlich Ruhe. Sie haben ihn doch immer unterdrückt. Er war hinterher, nach seinem Parteieintritt, genau so ein guter Bürgermeister wie zuvor. Man konnte nie glauben, dass er nur einen Gedanken an die Nazis hatte. Wenn er zur Partei ging, dann nur, damit die Kirche im Dorf bleibt. 1937 ist er dann fort nach Herrenberg. Nur wegen diesen Kerlen da musste er gehen. Dies war aber ein großes Unrecht. Sie haben immer gesagt, man müsste rauf und den "Judenschulzen" herunterschmeißen. Zu den Juden war er genauso wie zu den Christen. Niemals hat sich ein Jude über ihn beschwert. Er ist ein Mann, wenn wir diesen nur wieder bekommen könnten als Bürgermeister, das wäre das Beste.
6. Zeuge: Albert Kleinhanß, erklärte zur Person: Ich bin 56 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich kenne den Betroffenen seit meiner Schulentlassung. Ich war seinerzeit in der Lehre und Schr. auf dem Rathaus tätig. Später ist er dann Bürgermeister geworden. Nach dem 1. Weltkrieg war er ständig in Niederstetten. Er war einer, wie man sich keinen Besseren denken könnte. Dies war auch noch so nach 1933. Er war die Korrektheit selber. Er hat nach seinem persönlichen Rechtsempfinden gehandelt. Um die Partei werden wohl wenig Beamte herumgekommen sein. Ich hörte nur immer, dass Schr. zur Partei geht, um diese Leute zu beeinflussen. Ich hörte dies sogar von ihm selbst. Diese sollten nicht über den Strang hauen und wir hatten doch viele Juden in Niederstetten. Es sollte vermieden werden, dass diese angepöbelt werden. Es ist selten, dass in einem Platz, wo so viele Juden wohnten, mal eine Fensterscheibe zerschlagen wurde. Zeitweilig pöbelten schon die Gassenjungens die Juden an. Er hat sich sehr korrekt auch den Juden gegenüber benommen. Ich habe auch gehört, dass er in Sprechabenden der "Judenschulze" genannt wurde. Ich gehörte nicht der Partei an.
Ich war auch in Herrenberg als Geselle und habe heute noch nach dort Beziehungen. Ich hatte in Herrenberg eine Lieferfirma und ein Vertreter kam auch oft zu mir, und dies war zu der Zeit, als Schr. auch in Herrenberg Bürgermeister war. Dieser sagte mir immer, Schr. ließen sie von Herrenberg nicht mehr fort. Ich komme heute noch mit dem stellv. Bürgermeister von dort zusammen und ich kann nur sagen, was man von dort hört, ist nur immer wieder das Gleiche, Bürgermeister Schr. war ein Beamter, wie man sich keinen anderen denken könnte, er war korrekt ohne Ansehen der Partei. Er hat auch dort mit der Nazi-Partei nicht mitgemacht. Bei der Verteidigung von Herrenberg hat er sich sehr eingesetzt und ist gerade als Pg. dort geblieben, er hat standgehalten. Gerade dies war für die Leute eine Beruhigung, dass er da war. Dass er in der NSV einen Posten hatte, habe ich nicht gehört.
7. Zeuge: Gottlob Thürauf, Landwirt, erklärte zur Person: Ich bin 52 Jahre alt, mit dem Betroffenen nicht verwandt und nicht verschwägert.
Zur Sache:
Ich wohnte immer in Niederstetten und kenne ihn seit 1917. Schr. ist ein korrekter Mann in jeder Beziehung. Er hat die Juden, solange es ging, jederzeit unterstützt. Von diesen ist ihm auch nahegelegt worden, der Partei beizutreten. Darüber wurde gesprochen. Sie haben ihn auch oft den "Judenbürgermeister" genannt. Ihm wurde auch vorgeworfen, mit den Juden Geschäfte gemacht zu haben. Schr. hat dies aber dann widerrufen. Dies war nach 1933. Das war in einer Versammlung, da habe ich es gehört.
Der Betroffene:
Ich habe in der Versammlung einen Rechenschaftsbericht abgeben müssen.
Zeuge Thürauf:
In der Partei ist er nicht hervorgetreten. 1937 kam er fort und ich nahm an, dass er sich verbessern könnte. Man hat es ihm nahe gelegt, das habe ich erzählen gehört. Sonst kann ich in politischer Beziehung nichts angeben. Ich war nicht in der Partei.
Der Vorsitzende verlas des Gutachten von Jung vom 26. 1. 1948.
Der Verteidiger verlas folgende Schriftstücke: Bl. 38, 39, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 67, 76 und 78 der Akte.
Der Betroffene erklärte auf Befr. d. Verteidigers:
Die Ortsgruppe Herrenberg der NSV war eine Zuschussgruppe. Die gesammelten Gelder reichten nicht aus, um die bedürftigen Familien voll zu unterstützen. Das Geld wurde voll abgeliefert und wurde ganz für Unterstützungszwecke in der Gemeinde benötigt. Für andere Zwecke ist kein Geld verwandt worden.
Es wurde folgender Beschluss verkündet: Der Zeuge August Jung wird, weil er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, in einer Ordnungsstrafe von 150.– RM ersatzweise 3 Tage Haft genommen.
Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen sowie nach der Verlesung der Schriftstücke wurde der Betroffene befragt, ob er etwas zu erklären habe. Der öffentliche Kläger und sodann der Betroffene – und der Rechtsbeistand – erhielten zu ihren Ausführungen das Wort.
Der öffentliche Kläger beantragte wegen seiner Gebundenheit an das Gesetz: Einreihung in die Gruppe der Minderbelasteten 6 Monate Bewährung, 1000.– RM Sühne, und die weiteren Folgen des Art. 17, von Sonderarbeiten abzusehen.
Der Betroffene des Rechtsbeistands beantragte Einreihung in die Gruppe der Mitläufer. Bei Bemessung der Sühne zu berücksichtigen, dass er einen erheblichen Kriegsschaden erlitten hat, der sein jetziges Einkommen mehrfach übersteigt.
Dem Betroffenen wurde Gelegenheit gegeben, sich als Letzter zu äußern.
Hohes Gericht! Ich habe in meinem ganzen Leben nur ehrenhaft gedacht, gehandelt und gearbeitet. Ich habe in meiner ganzen Amtsführung nur einen rein menschlichen Standpunkt vertreten. Ich wollte nur eine Gemeinschaft bilden, um friedlich wirken zu können. Aus allen 5 Gemeinden, in denen ich wirken durfte, ist der Dank nicht ausgeblieben. Meine Arbeit hat sich nicht zum Nachteil, sondern zum Segen ausgewirkt. Bei jeder meiner Handlungsweise hatte ich das Bestreben, nur Gutes für die Gesamtheit zu tun und darauf kann mir nie etwas Schlechtes geschehen. Mir ist auch darum in meiner Amtsführung alles geglückt. Ich bin auch der Partei nicht aus inneren Beweggründen beigetreten, sondern nur um der Gemeinde zu helfen und das Beste für sie zu tun. Ich bitte die hohe Kammer um ein gerechtes Urteil.
Der Vorsitzende verkündete nach geheimer Beratung der Kammer durch Verlesen der Spruchformel, Mitteilung der Gründe und unter Anfügung der Rechtsmittelbelehrung folgenden
Spruch:
1.) Der Betroffene wird in die Bewährungsgruppe eingereiht.
2). Die Bewährungsfrist beträgt 6 Monate und beginnt mit der Rechtskraft dieses Spruches.
3.) Der Betroffene hat einen einmaligen Sonderbeitrag von 500.– RM zu einem Wiedergutmachungsfonds zu leisten. Wenn dieser Beitrag nicht beigetrieben werden kann, tritt an die Stelle von je 50.– RM ein Tag Arbeitsleistung.
4.) Die weiteren Folgen der Einreihung ergeben sich aus Art. 17 des Befreiungsgesetzes, der diesem Spruch als Anlage beigefügt ist.
5.) Die Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene.
6.) Streitwert: 6 637.– RM
Begründung.
Der Betroffene war von 1917 - 1937 Bürgermeister in Niederstetten und von 1937 - 1945 Bürgermeister in Herrenberg. Er hat sein höchstes steuerpflichtiges Einkommen in den Jahren 1932, 34, 38, 43 und 1945 auf 7200.– RM angegeben. Diese Angabe ist vom Finanzamt in Bad Mergentheim dahin berichtigt, dass sein höchstes steuerpflichtiges Einkommen im Jahre 1943 6637.– RM betragen hat. Sein jetziges Einkommen hat der Betroffene auf monatlich 180.– bis 200.– RM angegeben. Er ist in gewöhnlicher Arbeit beim Landratsamt Mergentheim beschäftigt. Sein jetziges Gesamtvermögen hat der Betroffene auf etwa 7000,– RM angegeben und erklärt, dass er durch Kriegsereignisse einen Vermögensschaden von etwa 10 000. – RM erlitten habe. Der Betroffene ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 25 und 27 Jahren, von denen eine verheiratet ist und die andere noch studiert. Der Betroffene ist wegen eines Darmleidens vorzeitig in den Ruhestand getreten und muss sich demnächst eine Operation unterziehen.
Der Betroffene war Mitglied der NSDAP vom 1. 10. 1933 an. Ferner war er seit 1933 Mitglied des NSKK und hatte dort von 1943 an den Rang eines Oberscharführers, ohne als solcher Dienst gemacht zu haben. Ferner war er einfaches Mitglied des RDB von 1933 an und des VDA von 1937 an. In der NSV war er Mitglied von 1933 an und Ortsgruppenamtsleiter von 1937 - 1943. Schließlich war er von 1919 - 1945 Mitglied des Deutschen Gemeindetages. Der Betroffene fällt danach unter D II 4, F II 2, G II 3 und K II 8 des Teils A der Anlage zum Befreiungsgesetz und gilt deshalb nach Art. 10 bis zur Widerlegung als Belasteter.
In der Klageschrift ist die Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Belasteten beantragt, weil durch die Mitgliedschaften und die Ämter des Betroffenen die Voraussetzungen des Art. 7 I 1 und 3 erfüllt seien. In der mündlichen Verhandlung sind 7 Zeugen vernommen und mehrere Urkunden vorgetragen worden. Im Einzelnen wird auf der Sitzungsprotokoll verwiesen. Der öffentliche Kläger hat beantragt, den Betroffenen mit einer Bewährungsfrist von 6 Monaten in die Gruppe der Minderbelasteten einzureihen und ihm eine Sühne von 1000. – RM aufzuerlegen. Der Verteidiger hat um Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Mitläufer gebeten.
Der Betroffene hat die Vermutung des Art. 10 nur in Bezug auf Art. 7 I 1 zu widerlegen vermocht.
Der Betroffene mag, als er 1933 in die Partei eintrat, auch den Wunsch gehabt haben, sich seine Existenz zu erhalten und in seinem Beruf zu bleiben. Er hat aber zweifellos außerdem die Absicht gehabt, im Interesse der von ihm verwalteten Stadt im Amt zu bleiben und zu verhüten, dass ein fanatischer Nationalsozialist an seine Stelle trete. Sowohl parteiggegnerisch eingestellte Gemeinderäte als auch die jüdische Gemeinde haben ihn geradezu gebeten, im Interesse der Stadt auf seinem Posten zu bleiben und, um dies zu erreichen, Parteigenosse zu werden. Der Betroffene war vorher ein Gegner der Partei. Er hat sich auch noch im Jahre 1932 nicht gescheut, gegen einen jungen Nationalsozialisten der bei einer Totenehrung in seiner Rede politisch werden wollte, energisch aufzutreten. Er wurde in dieser Zeit von Radaubrüdern nächtlicherweise als Juden- und Pfaffenknecht beschimpft. Diese seine Gesinnung hat der Betroffene auch nach 1933 nicht gewechselt. Er ist immer im Herzen antinazistisch gesonnen geblieben. Das geht aus zahlreichen Einzelzügen hervor. Der Betroffene hat es verstanden, auch später den Frieden unter den Bekenntnissen und Rassen einigermaßen zu wahren und wenigstens schlimmere Ausschreitungen zu verhüten. Seine Tätigkeit als Bürgermeister hat sich in der Zeit nach 1933 nicht von derjenigen vor dieser Zeit unterschieden. Er war immer gleich korrekt, und parteiisch und gerecht. Politisch hat der Betroffene sich in keiner Weise betätigt. Er hat seine Ablehnung der nationalsozialistischen Erziehungsprinzipien häufig eindeutig herausgestellt und insbesondere offene Kritik an den Methoden der Hitler-Jugend geübt. Zum Christentum war der Betroffene durchaus positiv eingestellt. Er und seine Familie besuchten regelmäßig den Gottesdienst. Am Jahresschluss führte der Betroffene in Niederstetten regelmäßig den ganzen Gemeinderat von der letzten Sitzung im Rathaus in die Kirche zum Sylvester-Gottesdienst. Er war Mitglied des Kirchengemeinderates und hat auch die Belange der Kirche stets wahrgenommen. Noch im Jahre 1935 hat er dafür gesorgt, dass ein christlicher Kindergarten in Niederstetten eingerichtet wurde. Seine eigenen Kinder wurden christlich erzogen und besuchten den kirchlichen Religionsunterricht. Für die evangelische Diakoniestation hat er sich eifrig verwandt. Aber auch der katholische Pfarrer von Niederstetten bescheinigt den Betroffenen, vor wie nach 1933 gegen ihn und seine Pfarrgemeinde gerecht und entgegenkommend gewesen ist. Auch in Herrenberg hat der Betroffene die Interessen der Kirche hervorragend vertreten. Er war im Verwaltungsausschuss des Herrenberger Verbandes für ev. Diakonie und leitete mit dem Pfarrer zusammen den Krankenpflegeverein, in dem eine ev. Schwester tätig war. Jahrelang ließ er die ev. Kinderschwester im NSV-Kindergarten arbeiten. Im Dorfe Hasslach, dass der Betroffene ebenfalls verwaltete, blieb unter ihm der EV Punkt Kindergarten erhalten. Der Herrenberger Musikverein konnte in der ganzen Zeit das Chorblasen vom Turm trotz des Unwillens der Partei durchführen. Einen Antrag auf Bewilligung eines Beitrages zur Beschaffung einer Kirchenuhr in Herrenberg hat der Betroffene trotz anfänglichen Widerstandes der meisten Gemeinderäte durchgedrückt. Es leuchtet ein, dass die Partei des Verhalten des Betroffenen nicht billigte. In einer Bescheinigung des Hausmeisters Haar wird glaubhaft geschildert, dass ein Nationalsozialist den Betroffenen als Verräter und Bandoglio bezeichnet habe, auf den man ein wachsames Auge habe. Es ist auch kennzeichnend, dass nach der Bescheinigung des Dr. Atorf die Militärregierung in Böblingen lange gezögert hat, ehe sie den Betroffenen von seinem Amt als Bürgermeister in Herrenberg entfernte. Diesem Zeugen gegenüber hat der Chef der Mil-Regierung mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er Vertrauen in die Amtsführung des Betroffenen habe. Hier muss auch erwähnt werden, dass die Ratsherren von Niederstetten im August 1945 ein Gesuch an die Militärregierung in Herrenberg gerichtet habe, in welchen sie sich für die Wiedereinsetzung des Betroffenen in sein früheres Amt ausgesprochen haben, wobei sie u. a. hervorhoben, dass er die Ausschreitungen der Partei aufs Schärfste verurteilt und sich dadurch den Hass der Parteigenossen zugezogen habe, und dass es keinen Juden in Niederstetten gegeben habe, der eine Klage über den Betroffenen gehabt habe. Die ist alles rechtfertigt den Schluss, dass der Betroffene trotz seines Eintritts in die Partei und trotz der Übernahme des Amtes in der NSV innerlich ein Gegner der Partei geblieben ist.
Anders war jedoch das Verhalten des Betroffenen nach 1933 unter dem Gesichtspunkt des Art. 7 I 1 zu beurteilen. Er war immerhin ein nationalsozialistischer Bürgermeister und als solcher Mitglied des Deutschen Gemeindetages. Schon das bedeutet eine gewisse Förderung des Nationalsozialismus. Dabei kann unterstellt werden und ergibt sich auch aus den obigen Feststellungen, dass der Betroffene in seinem Amt den Wünschen der Partei nicht weiter entgegen kam, als er unbedingt musste. Aber da er sich während der ganzen 12 Jahre im Amt gehalten hat, muss angenommen werden, dass er sich doch in manchen Punkten nach dem Willen der nationalsozialistischen Stellen gerichtet hat. Selbst seine unbestrittene Tüchtigkeit als Verwaltungsbeamter hätte sonst wohl nicht ausgereicht, um ihn in seinem Amt zu halten. Alles, was im Vorstehenden über die Tätigkeit des Betroffenen zugunsten der Kirche und der Juden und über seine parteigegnerische Haltung gesagt worden ist, kann jedoch die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass der Betroffene für die Partei als Bürgermeister und Mitglied des Gemeindetages immerhin einen Gewinn bedeutete.
Es kommt hinzu, dass der Betroffene von 1937 bis 1943 Ortsgruppenamtsleiter der NSV in Herrenberg war. Er begleitete also in einer nicht ganz unbedeutenden Stadt in der Ortsinstanz die leitende Stellung in einem der Partei angeschlossenen Verbande. Wohl mag er dies Amt nur auf Weisung hin übernommen haben und er mag es auch durchaus unpolitisch geführt haben. Er hat auch glaubhaft angegeben, dass die Stadt Herrenberg für die NSV ein Zuschussgebiet war, dass also die gesammelten Beträge und gezahlten Beiträge nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Der Betroffene gibt an, dass er auf diese Tatsache Wert gelegt habe, weil er dadurch zur Beruhigung seines Gewissens habe feststellen können, dass die Gelder, die er verwaltete, wirklich für notleidende Volksgenossen verwandt und nicht fremden Zwecken zugeführt wurden. Daraus ergibt sich aber, dass er, was ja auch mindestens für die späteren Jahre seiner Tätigkeit anzunehmen ist, wohl wusste oder doch damit rechnete, das an anderen Orten Gelder eingenommen wurden, die nicht der Linderung der Not, sondern der Verlängerung des Krieges dienten. Der Betroffene war sich also bewusst, dass er eine Organisation diente, die im Ganzen gesehen durchaus nicht harmlos war, sondern, unter falscher Flagge segelnd, harmlosen Menschen unter mehr oder weniger starkem Druck Gelder abnahmen, um sie zur Förderung der Partei und ihrer verwerflichen Ziele zu benutzen. In dem Aufbau dieser Organisation stand der Betroffene an einer zwar nicht hervorragenden, aber auch nicht ganz unbedeutenden Stelle und dies als Bürgermeister seiner Stadt. Die Förderung, die er der Partei dadurch angedeihen ließ, kann nicht als unwesentlich bezeichnet werden. Wer aber in dieser Weise die Partei fördert, stützt damit auch die Gewaltherrschaft der Partei. Ob es zum Tatbestand des Art. 7 I 1 gehört, dass der Betroffene sich diese Sachverhalts bewusst sein muss, braucht nicht erörtert zu werden, da, wie gesagt, dies Bewusstsein beim Betroffenen angenommen werden muss, jedenfalls ein Beweis dafür, dass er es nicht gehabt habe, fehlt.
Im Ganzen muss also festgestellt werden, dass der Betroffene die Vermutung des Art. 10 in Bezug auf Art. 7 I 1 nicht widerlegt hat. Er ist deshalb zunächst als Aktivist anzusehen, verdient jedoch in vielfacher Hinsicht eine mildere Beurteilung. Der Betroffene war ohne Frage ein durchaus anständiger Mensch und ein besonders tüchtiger Verwaltungsbeamter. Das ergibt sich allein schon daraus, dass ihn seine vorgesetzte Behörde nach Herrenberg schickte, als dort durch schlechte Verwaltung eine große Unordnung und Schuldenlast entstanden war, und daß er diesen Zustand in kurzer Frist vollkommen überwunden hat. Es ist aber auch sonst durch die Beweisaufnahme in vielen Einzelpunkten hervorgetreten.
Ferner kann hier verwiesen werden auf alles, was oben über die Einstellung des Betroffenen gegen die Partei und für die Kirche sowie zugunsten seiner jüdischen Mitbürger gesagt worden ist. Endlich ist noch hervorzuheben, dass der Betroffene, wie ihm von allen Seiten bestätigt wird, in den Kampftagen des April 1945 im Gegensatz zu anderen Nazi-Bürgermeister auf seinem Posten verlieb und für eine ordnungsmäßige Übergabe der Stadt an die französischen Truppen sorgte.
Die Spruchkammer ist überzeugt, dass der Betroffene nach Bewährung in einer kurzen Probezeit sich als guter Bürger eines friedlichen demokratischen Staates erweisen wird. Aus diesem Grunde hat sie ihn in die Gruppe der Minderbelasteten eingereiht und die Bewährungsfrist auf 6 Monate festgesetzt.
Bei Bemessung der Sühnemaßnahme hat die Kammer mit Vorbedacht äußerste Milde walten lassen. Einmal liegt der Fall des Betroffenen fast auf der Grenze und er hätte, wenn es nur auf seine Gesinnung ankäme, wohl verdient, als Mitläufer eingestuft zu werden. So dann ist auch berücksichtigt, dass der Betroffene den größeren Teil seines Vermögens durch den Krieg verloren hat und dass er zur Zeit in gewöhnlicher Arbeit nützlich tätig ist, wo er aber nur etwa 180.– bis 200.– RM monatlich verdient. So sind 500.– RM Sonderbeitrag als ausreichend angesehen worden. Von der Verhängung von Sonderarbeit war abzusehen. Der Betroffene ist schon 61 Jahre alt, wegen Krankheit vorzeitig in den Ruhestand versetzt und steht vor einer Operation. Er wird zudem als Beamter wie auch als gesinnungsmäßiger Gegner der Partei schon ohnehin durch die Einreihung als Minderbelasteter getroffen.
Die Kosten des Verfahrens waren dem Betroffenen aufzuerlegen. Der Streitwert ist nach § 2 der Gebührenordnung vom 4. 4. 1946 festgesetzt.

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