A. H. Krohne, Rechtsanwalt. Bad Mergentheim, den 4. 1. 1948
An die Spruchkammer Mergentheim
In dem Verfahren gegen Karl Hachtel, Hausmeister, Niederstetten, Bahnhofstraße 19 -33/321257 – nehme ich auf die am 15. 11. 1947 überreichte Vertretungsvollmacht Bezug und beantrage, den Betroffenen in die Gruppe der Minderbelasteten (Bewährungsgruppe) einzureihen.
Begründung.
Der Betroffene fällt nach der gesetzlichen Vermutung wegen seiner Parteimitgliedschaft von 1932 bis 1945, wegen seiner Ämter als Block- und Zellenleiter ab 1935/36, sowie als Ortsgruppenkassenleiter von 1939 bis 1941, außerdem als stellvertretender Ortsobmann der DAF von 1942 bis 1945 und als Inhaber der Verdienstauszeichnung für zehnjährige Mitgliedschaft bei der NSDAP in die Gruppe der Belasteten.
In der Klageschrift wird er auf Grund der amtlichen Auskünfte und der angestellten Ermittlungen als Aktivist, Nutznießer, gefährlicher Fanatiker, Agent der Gestapo und schärfster Hetzer bei den Judenverfolgungen bezeichnet. Weiter wird er für die Ausschreitungen gegen Juden verantwortlich gemacht und deshalb gemäss Art. 5 Ziff. 3 als Hauptbeschuldiger angeklagt.
Gegenüber diesen schweren Beschuldigungen der Klage ergibt sich bei näherer Prüfung der Person des Betroffenen und seines Verhaltens während der Nazizeit, dass es sich bei ihm wohl um einen Anhänger der Partei, aber nicht um einen fanatischen oder gar gefährlichen Aktivisten handelt. Für den grössten Teil der ihm vorgeworfenen Belastungen fehlt es an einwandfreien und schlüssigen Beweisen, wie sich in der mündlichen Verhandlung herausstellen dürfte.
Der Betroffene wurde am 1. 2. 1893 in Riedbach, Krs. Crailsheim, geboren, besuchte die Volks- und Fortbildungsschule und war zunächst als Hilfe im landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters tätig. Seiner Militärpflicht genügte er beim Feldartillerieregiment Nr. 13, bei dem er auch den ersten Weltkrieg mitmachte. In den Jahren nach dem Krieg war er auf verschiedenen landwirtschaftlichen Stellen tätig. 1923 verheiratete er sich und erwarb ein kleines Wohnhaus. Als Hilfsarbeiter in Baugeschäften und ab 1928 als Zeitarbeiter bei der Reichsbahn verdiente er sich den notwendigsten Lebensunterhalt. In den Krisenjahren bis 1933 verrichteten seine Frau und er Gelegenheitsarbeiten und schlugen sich auf diese Weise kümmerlich durch. Als im April 1933 die Reichsbahn wieder Arbeitskräfte benötigte, wurde auch er wieder eingestellt. Gesundheitlich war er aber dem Dienst im Freien nicht gewachsen und nach seiner schweren Ischiaserkrankung riet ihm der Arzt, eine andere Arbeit zu suchen. Ihm wurde dann die Schuldienerstelle an der Schule in Niederstetten übertragen, die er bis zum Zusammenbruch begleitete. Sein Vermögen besteht nur aus dem Wohnhaus (Steuerwert RM 1880,-), mit seiner Frau lebt er in Gütergemeinschaft.
Beeinflusst von dem als alter Nationalsozialist bekannten, längst verstorbenen Tierarzt Dr. Eyser, der ihn auch heimlich unterstützte, ist der Betroffene am 1. 3. 1932 in die Partei eingetreten. Vorher hatte er sich nie politisch betätigt und er war der ehrlichen Überzeugung, einer guten Sache zu dienen und mitzuhelfen, eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen. 1935 wurde ihm vom Ortsgruppenleiter das Amt eines Blockleiters übertragen und 1936 wurde er Zellenleiter. Als zu Beginn des Krieges der Ortsgruppenkassenleiter eingezogen wurde, musste er auf Weisung des Ortsgruppenleiters die Kasse übernehmen. Diese Geschäfte führte er aber nur von Dezember 1939 bis März 1941.
Stellvertretender Ortsobmann der DAF wurde er erst im Jahre 1942 und nicht schon 1934, wie es in der Klageschrift irrtümlich angegeben ist. Seine Tätigkeit in all diesen Ämtern hat sich in der üblichen Weise auf die laufende Erledigung der anfallenden Geschäfte beschränkt. Irgendwelche Aktivität hat er in diesen Ämtern nie entfaltet. Da er ein einfacher Mann war, wurde er nur mit untergeordneten Dingen befasst. Eine besondere Propaganda oder Werbung für die Partei hat er nicht betrieben. Es ist auch nie ein Fall bekannt geworden, dass er andere zum Eintritt in die Partei veranlasst oder sie gar wegen ihrer abweichenden Meinung angezeigt hätte. In einer Reihe von Zeugnissen wird er als zuverlässiger und anständiger Kamerad geschildert.
Anlage 1: Erklärung des Otto Jäger vom 26. 11. 1947
Anlage 2: Erklärung der Margarethe Weiss vom 17. 11. 1947
Anlage 3: Erklärung des Karl Fetzer vom 1. 12. 1947
Anlage 4: Erklärung des Josef Bergdolt vom 24. 11. 1947
Anlage 5: Erklärung des Leonhard Rathgeber vom 15. 11. 1947
Anlage 6: Erklärung des Georg Rummler vom 26. 11. 1947
Die Behauptung, dass der Betroffene ein Agent der Gestapo gewesen sei, ist frei erfunden. Für diese Annahme fehlt jeglicher Beweis. Dasselbe gilt für die in der Klageschrift enthaltene Annahme einer Mitarbeit beim SD. Es ist bedauerlich, dass der öffentliche Kläger, obwohl er selbst zugeben muss, dass es an jedem Beweis für eine solche Behauptung fehlt, trotzdem mit einer solchen Annahme operiert und damit den Betroffenen grundlos zu diffamieren versucht.
Die Behauptung, dass der Betroffene der böse Geist und schärfste Hetzer bei den Judenverfolgungen gewesen sei, erscheint in einem wesentlichen anderen Lichte, wenn den einzelnen Tatsachen, die den Beweis dafür liefern sollen, auf den Grund gegangen wird.
Der Betroffene wird als einer der Verantwortlichen für die Judenpogrome am 25. 3. 1933 dargestellt. In Wirklichkeit war der Betroffene an diesen Ausschreitungen nicht im geringsten beteiligt. Er war an jenem Tag, wie ihm von drei Betriebsangehörigen ausdrücklich bescheinigt wird, von seiner Arbeitsstelle, dem Sägewerk Jung & Söhne in Niederstetten, überhaupt nicht abwesend.
Anlage 7: Erklärung des Karl Jung zwei Gen. vom 14. 11. 1947
Die Gewaltakte gegen die Juden sind seinerzeit – wie auch der Spruchkammer bekannt sein sollte – von auswärtigen Elementen begangen worden. Der Betroffene hat mit diesen Vorgängen nichts zu tun und es geht nicht an, ihn für diese Ausschreitungen irgendwie verantwortlich zu machen. Auch die Bevölkerung von Niederstetten hat sich für diese Ausschreitungen nicht hergegeben, und es waren ausschliesslich fremde Elemente daran beteiligt. Wieso der Betroffener also zu diesen tiefbedauerlichen Vorgängen beigetragen haben soll, ist völlig unerfindlich.
Ebenso haltlos ist das Vorbringen, der Betroffene habe mit einem Dertinger zusammen in der Gastwirtschaft der Rösle Gerlinger in Niederstetten Juden photographiert, um diese Fotos im Stürmer zu veröffentlichen. Es muss sich hier um einen Irrtum der Frau Gerlinger handeln, denn der Betroffene hat nie zusammen mit Dertinger photographiert. Letzterer gibt selbst an, dass nicht der Betroffene, sondern Sturmführer Pfannkuch mit ihm photographiert hat.
Anlage 8: Erklärung des Paul Dertinger vom 1. 12. 1947
Schon in der Verhandlung gegen Dertinger vor der Spruchkammer am 1. 11. 1947 wurde diese Tatsache eindeutig festgestellt. Im übrigen ist hier der Beweis geliefert, wie Zeugenangaben in solchen Dingen beurteilt werden müssen. Es kann daraus geschlossen werden, dass auch die sonstigen Angaben der Frau Gerlinger mit Vorsicht aufzunehmen sind.
Bei der Sicherstellung der im Besitz von Juden befindlichen Radioapparate in Niederstetten handelte es sich um einen Befehl der Kreisleitung an die Ortsgruppen. Dieser Befehl war natürlich unzulässig und auf Weisung des Landratsamts mussten die Apparate wieder zurückgegeben werden. Der Betroffene war beauftragt, den Apparat bei Otto Baumann sicherzustellen. Der Radio wurde aber nach einigen Tagen weisungsgemäss wieder an das damalige Dienstmädchen Pauline Egner aus Vorbachzimmern zurückgegeben. Es ist also nicht richtig, dass sich der Betroffene an diesem Radioapparat auf Kosten des Herrn Baumann hätte bereichern wollen.
Es wird gebeten, zu diesem Vorgang Frl. Pauline Egner in Vorbachzimmern als Zeugin zu hören.
Der Betroffene soll ferner Leuten, die für Juden arbeiteten, mit Verhaftung gedroht, die Juden beschimpft und sogar bespuckt haben. In dieser Weise soll er auch gegen Kunden in jüdischen Geschäften eingeschritten sein. Die Beschuldigungen, die in dieser Hinsicht gegen ihn vorgebracht werden, stammen von Personen, die entweder mit dem Betroffenen seit langer Zeit verfeindet sind oder die bei der Familie Baumann in Niederstetten in günstigem Licht erscheinen wollen.
Der von dem Zeugen Wilhelm Friedrich erwähnte Fall aus dem Jahre 1943 hat sich folgendermassen zugetragen:
Frau Baumann hatte ihre Abortgrube in ihrem Garten geleert und die Sache längere Zeit nicht abgedeckt. Der Betroffene hat ihr darüber Vorhalt gemacht, da man ja kein Fenster aufmachen könne. Beschimpft hat er sie dabei aber nicht und ihr auch nicht gedroht, sie dahin zu bringen, wo sie hingehöre. Alle gegenteiligen Behauptungen sind unwahr.
Auch die Angaben des Zeugen Karl Keim geben den Sachverhalt entstellt wieder. Dieser entleerte bei dem Juden Hermann Braun die Abortgrube. Da der Betroffene in seiner Eigenschaft als Hausmeister die in unmittelbarer Nähe liegende Schule gelüftet hatte, sagte er zu Keim, er solle mit dem Leeren aufhören und die Arbeit fortsetzen, wenn mittags die Schule beendet sei, da sonst das ganze Schulhaus verpestet werde. Irgend eine Beleidigung, Beschimpfung oder gar Drohungen, hat der Betroffene dabei nicht ausgesprochen; er hat lediglich die berechtigten Interessen der Schule wahrgenommen. Von dem zweiten Fall mit dem Holzspalten, den der Zeuge Keim erwähnt, ist den Betroffenen überhaupt nichts bekannt. Der Betroffene weiss auch nichts davon, dass er, wie der Zeuge Gottlob Thierauf begründet, Personen, die in dem jüdischen Geschäft des Herrn Kahn gekauft haben, in zwei Fällen zur Rede gestellt und belästigt haben sollen. Dass er der Frau Baumann wegen schlechter Verdunkelung Vorhalt gemacht hat, bestreitet der Betroffene nicht. Jedoch hat dies mit der Zugehörigkeit der Frau Baumann mit der jüdischen Rasse nichts zu tun. In derselben Weise wurden auch andere Einwohner von Niederstetten von dem Betroffenen gerügt.
Der Betroffene bestreitet auch, Frau Rösle Gerlinger wegen Betreten des jüdischen Geschäfts Albert Kahn beleidigt zu haben. Ob der Fall sich so zugetragen hat, wie die Zeugin Gerlinger behauptet, wird diese in der mündlichen Verhandlung unter ihrem Eide auszusagen haben.
Das Vorbringen der Frau Lina Gehringer geht auf den mit dem Betroffenen verfeindeten Zeugen Wilhelm Friedrich zurück. Der Betroffene hat mit der Aeußerung gegenüber der BDM-Gruppe die HJ selbst gemeint, da er erregt darüber war, dass der Dienst bei der BDM-Formation so kurz angesetzt war und seine Tochter nicht rechtzeitig davon verständigt wurde. Damals konnte er dies nicht offen zum Ausdruck bringen, da er ja sonst schwer gestraft und vielleicht um seine Stellung gekommen wäre. Es blieb ihm seinerzeit nichts anderes übrig als die Sache auf sich zu nehmen.
Nach alledem ist kein Beweis dafür erbracht, dass der Betroffene in übelster Form und aller Öffentlichkeit eine Judenhetze betrieben und letztere beschimpft, misshandelt und bespuckt hätte. Es wird Sache der Belastungszeugen sein, in dieser Beziehung den Beweis durch Angabe konkreter und bestimmter Einzelheiten zu erbringen. Zunächst müssen alle diese Behauptungen als blosse Vermutungen bezeichnet werden.
Dass der Betroffene weder als Judenhetzer noch als fanatischer Aktivist bezeichnet werden kann, wird auch von Mitbürgern in Niederstetten ausdrücklich bestätigt.
Anlage 9: Erklärung des Karl Leyrer vom 12. 11. 1947
Anlage 10: Erklärung des Johann Klingert vom 10. 11 1947
Anlage 11: Erklärung des Gottlob Keim vom 20. 11. 1947
Anlage 12: Erklärung des Friedrich Lehr vom 25. 11. 1947
Anlage 13: Erklärung des Karl Waldmann vom 15. 11. 1947
Besonders bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die eidesstattliche Erklärung des holländischen Staatsangehörigen Johannes Remie, in der es heißt, dass der Betroffene als ein wirtschaftlicher Betreuer des Ausländerlagers sich in jeder Hinsicht für die Fremdarbeiter eingesetzt und für gute Unterkunft und Verpflegung gesorgt und sich auch sonst anständig gegen sie verhalten hat. Nach den Angaben dieses Zeugen hat er nie etwas davon gehört und auch selbst nie gesehen, dass der Betroffene jemanden schlecht behandelt oder gar einen Juden geschlagen oder beleidigt hätte.
Anlage 14: Erklärung des Johannes Remie vom 4. 11. 1947
Aus der Kirche ist der Betroffene nie ausgetreten und hat seine Kinder konfirmieren lassen, obwohl dies von der Partei nicht gern gesehen wurde.
Anlage 15: Erklärung des Stadtpfarramtes Niederstetten vom 15. 11. 1946.
Der Betroffene hat, wie sich aus dem Vorgetragenen ergibt, weder den Tatbestand des Art. 5 Ziff. 3, noch die in der Klageschrift angegebenen Tatbestände des Art. 7 des Befreiungsgesetzes erfüllt. Sollte er jedoch wegen seiner formalen Belastungen als Aktivist angesehen werden, so erscheint er doch einer milderen Beurteilung würdig, da ihm keine verwerfliche Handlungsweise vorgeworfen werden kann und er nach seiner Persönlichkeit erwarten lässt, dass er nach Bewährung in einer Probezeit seine Pflichten als Bürger eines friedlichen demokratischen Staates erfüllen wird. Der Antrag auf Einreihung in die Bewährungsgruppe erscheint daher durchaus berechtigt.
Bei Festsetzung der Sühnemassnahmen bitte ich, zu berücksichtigen, dass der Betroffene von April 1945 bis Anfang 1947 interniert war, dass er an einer chronischen deformierenden Gelenkentzündung beider Hüftgelenke mit einer 60-prozentigen Erwerbsminderung laut amtsärztlichem Zeugnis vom 2. 12. 1947 leidet und seit seiner Entlassung für eine kunstgewerbliche Werkstätte für Flüchtlinge fleissig und zuverlässig arbeitet.
Anlage 16: Erklärung des staatlichen Gesundheitsamtes Mergentheim vom 2. 12. 1947
Anlage 17: Erklärung der Marianne Heinrich in Bad Mergentheim ohne Datum.
A. H Krohne, Rechtsanwalt

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