( ) Niederstetten, 8. Mai. Unsere Stadt war heute der Versammlungspunkt für das Handwerk des Bezirkes, welches seinen Bezirkshandwerkertag abhielt. Zugleich fand die Schlußfeier der Gewerbeschule statt, mit welcher die Ausstellung von Schülerarbeiten verknüpft war. In der Schlußfeier im Löwen wurden die angehenden Gesellen zu ihrem Lebensweg ermutigt und wurden ihnen gute Lehren für denselben mitgegeben. Die besonders guten Schüler wurden durch sinnige Preise ausgezeichnet. – Um 11 Uhr fand die Eröffnung der Ausstellung in der Turnhalle statt. Herr Gewerbelehrer Merkle, der Vorstand der Schule, begrüßte die Erschienenen und führte dieselben durch die Ausstellung. – Die Ausstellung verdient besonders gewürdigt zu werden. Nach Berufen geordnet sehen wir die Fachzeichnungen der einzelnen Gewerbe u. finden wir darunter eine große Anzahl ganz lobenswerter Arbeiten, welche weit über das sonst in Fortbildungsschulen Geleistete hinausgehen. Schon diese Tatsache macht das Bestehen einer Gewerbeschule besonders erfreulich. Der Nutzen der Gewerbeschule kommt aber noch mehr zum Ausdruck, wenn wir die großangelegte, ausschließlich durch Lehrlinge gefertigte Modellsammlung besichtigen. Der Uebergang von der theoretischen Lehre zur praktischen Arbeit tritt hier klar vor Augen. Auch der Geschmacksschulung der Schüler wird, wie aus den Arbeiten ersichtlich ist große Aufmerksamkeit gewidmet. Auf die Ausstellung kann Herr Gewerbelehrer Merkle mit seinen Schülern stolz sein und es ist zu wünschen, daß die Arbeit der Schule in Handwerkerkreisen immer mehr Beachtung findet. – Um 2 Uhr eröffnete Herr Bezirksvorsitzender Hieber-Blaufelden im Saale "zum Löwen" den Bezirkshandwerkertag. Nach der Begrüßung desselben durch Hrn. Hieber begrüßte Herr Stadtschultheiß Schroth den Bezirkshandwerkertag namens der Stadt. – Das Referat über" das Handwerk in Staat und Wirtschaft "erstattete Herr Handwerkskammersyndikus Dr. Frey-Heilbronn. – In großen Zügen schilderte Herr Frey die Lage des Handwerkers und die neuen Wege, welche das Handwerk einschlagen müsse, wenn es im heutigen Wirtschaftskampf nicht unterliegen soll. Insbesondere sei die Typisierung der Landwirtschaft zugleich ein Wegweiser für das Handwerk. Das Handwerk selbst müsse auch durch Typisierung anderer Waren diesen Weg gehen, um leistungsfähiger zu werden und um in der Preisgestellung Vorteile bieten zu können. Das Gewerbe müsse sich sowohl in technischer Hinsicht als auch in Geschmacksrichtungen mehr als bisher nach der Kundschaft richten. Recht bedauernswert sei die vorgesehene Erhöhung des Portos. Die Folgen seien Frachterhöhungen, Rohmaterialienerhöhung, kurz eine allgemeine Preissteigerung. Dem Submissionswesen widmet Herr Dr. Frey weitere Ausführungen und warnt vor Unterbietungen. Die Sorge für den Nachwuchs muß dem Handwerker am Herzen liegen. Der werdende Handwerker muß zum modernen Menschen werden. Denn es sei unmöglich, daß das Handwerk wieder in seine alten Methoden zurückfalle. Das Handwerk muß sich am Zusammenhalt und in dem Eintreten für gemeinsame Berufsfragen ein Beispiel an der Landwirtschaft und an den Arbeitern nehmen. Dann kann das Handwerk zuversichtlich in die Zukunft sehen. Die Versammlung dankte dem Redner mit lebhaften Beifall. Herr Vorstand Hieber sprach den Dank der Versammlung aus. – Dem Referat des Herrn Dr. Frey folgte eine anregende Diskussion. Der Vorsitzende der Handwerkskammer Heilbronn, Herr Schurr, wandte sich gegen die Einschränkungen des Bäckergewerbes und gegen die allgemeine Sonntagsruhe im Gewerbe überhaupt. Den Hausierhandel könne der Handwerker am besten dadurch bekämpfen, daß er selbst nichts von Hausierern kaufe, sondern seine Bedürfnisse beim örtlichen Gewerbe deckte. Ein Innungsmeister verlangte Beschränkung in der Ausstellung von Gewerbescheinen. Herr Oberamtmann Wöhrle-Gerabronn erwiderte den gegenüber, daß die Behörde die Ausstellung eines Wandergewerbescheines nur versagen könne, wenn ganz bestimmt umrissene Hinderungsgründe (Vorstrafen, ansteckende Krankheiten oder Minderjährigkeit) vorliegen. Der Schädigung des ländlichen Gewerbes durch die Sonntagsruhe wende das Oberamt das wohlwollendste Interesse zu. Mit Recht wurde getadelt, daß zwei Innungen unseres Bezirkes heute anderwärts ihre Versammlungen abhielten. Herr Metzger-Bartenstein bat um zahlreichen Besuch des demnächst in Bartenstein stattfindenden Gautags. Ein Schmiedemeister aus Kirchberg schilderte die durch Abschaffung vieler Pferde in Folge Einführung des Autobetriebes entstandene schlechte Lage des Schmiedehandwerks. Auch Herr Stadtschultheiß Schroth verbreitete sich über die Schädigung des ländlichen Gewerbes durch die Sonntagsruhe. Der Hausierhandel werde nicht nur von schlechten Elementen ausgeübt, viele Menschen seien durch wirtschaftliche Verhältnisse zum Hausierhandel gezwungen. Herr Gewerbelehrer Merkle wandte sich gegen die Behauptung, daß nur in großen Städten ein Lehrling ausgebildet werden könne und lud die Versammlung zur Besichtigung der Ausstellung ein. Es sei Pflicht der Handwerker, ihre Lehrlinge in die Gewerbeschule zu schicken, die Entfernung dürfe kein Hindernis sein. Herr Hieber-Blaufelden schloß hierauf mit herzlichen Worten an die zahlreich Erschienenen die fruchtbar verlaufene Tagung.

Vaterlandsfreund, 10. 5. 1927